Der jüdische Friedhof Mülheim: Ausstellungseröffnung in der Friedenskirche

Der jüdische Friedhof in Köln-Mülheim kann eine lange Tradition vorweisen. Angelegt wurde er im Jahr 1774, das letzte Begräbnis fand 1942 statt. Bis heute erinnern dort 160 Grabstätten an die jüdische Gemeinde Mülheim. Diesem Thema haben sich Dietrich Grütjen und Hartmut Schloemann zusammen mit der Mülheimer Geschichtswerkstatt gewidmet. Was dabei herausgekommen ist, kann man sich jetzt in einer Ausstellung in der Mülheimer Friedenskirche anschauen.

Vernissage mit Erinnerungen an die jüdische Gemeinde

Alle Plätze waren besetzt, als Dr. Christiane von Scheven von der Kirchengemeinde die interessierten Gäste begrüßte, um mit einer Vernissage die Ausstellung zu eröffnen: „Ich bedanke mich sehr, dass gerade die Friedenskirche für diese Ausstellung gewählt wurde.“ Besonders beeindruckend war ein Grußwort des 101-jährigen Rabbi Erwin Schild aus Toronto, der selber lange in Mülheim gelebt hat und immer wieder zurückgekommen war, um die Erinnerung an die dortige jüdische Gemeinde hochzuhalten. „Ich habe die ersten 20 Jahre meines Lebens hier verbracht, auf dem Friedhof ist das Grab meiner Großmutter.“ An die jüdische Gemeinde erinnerten nur noch die Toten auf dem Friedhof. „Darum ist die Pflege des jüdischen Friedhofs eine wahre Wohltätigkeit.“ Dafür sprach der Rabbi allen Beteiligten seinen Dank und seiner Bewunderung aus.

Erinnerungen an die Geschichte

Dietrich Grütjen und Hartmut Schloemann haben die freie Zeit in ihrem Ruhestand genutzt, um sich intensiv mit der jüdischen Geschichte in Mülheim auseinanderzusetzen. Besonders wurde an die Eisflut 1783 erinnert, die ganz Mülheim in den Rhein spülte. Dank großer Solidarität aus ganz Europa konnten Kirche und Synagoge wieder aufgebaut werden. „Schon damals fiel in Mülheim kein böses Wort gegen die Juden, obwohl sich Luther inzwischen zu einem glühenden Antisemiten entwickelt hatte“, erläuterte Dietrich Grütjen. Der zweite große Einschnitt kam während der Schreckensherrschaft der Nazis, 1944 war Mülheim wieder dem Erdboden gleichgemacht, die Juden vertrieben oder getötet. „Die Kirchen haben weitgehend geschwiegen, die Synagoge wurde abgerissen, lange tat sich nichts in Sachen Aufarbeitung der Geschichte.“ 1978 fand in der Friedenskirche zum Gedenken an die Reichsprogromnacht ein Gedenkgottesdienst statt. „Das war die Initialzündung für Erinnerungsarbeit hier in Mülheim.“ Wie ein roter Faden zieht sich der Zusammenhalt zwischen der Friedenskirche und der jüdischen Synagoge durch die Geschichte Mülheims.

Ausstellung dokumentiert Aufarbeitung der Geschichte

Die Mülheimer Geschichtswerkstatt, vertreten durch Helmut Goldau, begann zusammen mit dem NS-Dokumentationszentrum systematisch, die Erinnerung an die Vergangenheit wieder zu beleben. Das jüdische Leben in Mülheim wurde dokumentiert, der Friedhof restauriert, umgestürzte und beschädigte Grabsteine wieder instand gesetzt. Die Gräber wurden erfasst, fotografiert und die Inschriften übersetzt. Demnächst soll eine Datenbank über den Friedhof in Betrieb gehen.

Die Ausstellung dokumentiert in verschiedenen Fotos und einem Video umfangreiches Material zum Friedhof, zur Eisflut, zum jüdischen Leben in Mülheim, eine Darstellung der zerstörten Synagoge und natürlich zu Rabbi Schild. Annette Maye und Andreas Heuser schafften mit jüdischer Musik auf Klarinette, Saxophon und Gitarre eine stimmungsvolle und nachdenkliche Atmosphäre während der Vernissage. Daniel Lemberg, Friedhofsverwalter der Kölner Synagogengemeinde, bedankte sich für das Engagement und die Unterstützung, dass das jüdische Leben in Mülheim nicht vergessen wird.

Die Ausstellung ist Samstags und Sonntags von 15 bis 17 Uhr in der Friedenskirche, Wallstrasse 70 oder nach Absprache unter 0221/9625020 zu besichtigen. Der Film kann zusätzlich auf YouTube unter https://youtu.be/7_nj5QLQyho abgerufen werden.

Text: Dr. Klemens Surmann/APK
Foto(s): Dr. Klemens Surmann/APK

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Wochentipps mit „Salomonisches“: Bibellesung, Musik und Gesang

Die Veranstaltung „Salomonisches“ bietet Bibellesung, Musik und Gesang in einem und findet im Rahmen des Jubiläums 1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland am 7. November ab 15 Uhr in der Paul-Gerhardt-Kirche statt. „Es gibt drei Gründe, warum wir das seit knapp zehn Jahren immer wieder machen. Erstens um einen Gesamttext aus der Bibel vorzustellen, denn sonst hört man ja immer nur Ausschnitte im Gottesdienst – wir haben schon mal die gesamte Genesesis gelesen, das dauerte sechs Stunden“, erklärt Organisator Richard Weber. Es gehe darum, dass Menschen wieder mit dem gesamten Bibeltext in Verbindung kommen und nicht nur einzelne Sprichwörter übernehmen. „Die zweite Sache ist, dass wir möglichst viele Menschen aus der Gemeinde sich beteiligen lassen möchten. An der Genesis-Veranstaltung haben beispielsweise 70 Menschen teilgenommen. Es geht hier um kulturelle und religiöse Bildung – aber eben auch um Partizipation.“

Altes Testament

Es werden hauptsächlich Texte des alten Testaments vorgestellt, die auch oft unbekannter sind als das neue Testament. Die Menschen werden außerdem nicht nur Lutherübersetzungen präsentieren. „Hier geht es um ein Kennenlernen von anderen Übersetzungen. Es gibt eben nicht nur die Lutherübersetzung, die sicherlich die bekannteste ist, sondern zum Beispiel auch Zunz, Tur-Sinai, Buber/Rosenzweig“, sagt Weber. „Es sind immer sehr viele Menschen, die daran mitwirken und sich beteiligen und etwas gemeinsam machen und erschaffen – auch viele junge Menschen. Es ist ein Querschnitt durch die Gemeinde. Das ist schon eine wichtige und schöne Erfahrung für jeden – es kommt nicht darauf an, dass jeder brilliant vorliest. Darum geht es nicht. Die Menschen aus der Gemeinde präsentieren die Texte auf ihre eigene Art und Weise.“ Wie sie die Texte lesen und welche Akzente sie setzen, das ist ganz individuell.

Musik setzt Akzente

Orgel, Shrutibox, Violine, Blockflöte und Oboe werden zu hören sein – nicht als Orchester, sondern die Instrumente sind zum Teil begleitend, oder setzen Akzente bei den Lesungen. Am Anfang und in den Pausen singt der Chor. „Der Text wird strukturiert durch musikalischen Einlagen, so dass es nicht nur ein Textblock wird, sondern es gibt Einspielungen“, erklärt Weber. Es lesen: Pfarrer und Pfarrerinnen, Menschen aus der evangelischen Kirchengemeinde, die katholische Partnergemeinde Pfarrei St. Stephan macht mit und die Evangelische Studierenden Gemeinde (ESG).

Das Projekt „Salomisches“ ist ein Projekt des Presbyteriums. „Die Themen der Lesungen sind sehr vielfältig und auch für die heutige Gesellschaft sehr relevant. Auch wenn manche Texte uns vielleicht antiquiert erscheinen, sind sie doch modellhaft für die jetzige Zeit und die Vielfalt des Lebens“, freut sich Weber.

Angesetzt ist die Veranstaltung bis etwa 19 Uhr. „Man kann nicht genau sagen, wie lange es dauern wird, weil man ja nicht die Lesegeschwindigkeit von jedem kennt“, sagt Weber schmunzelnd. „Es ist freier Einlass zu jeder Zeit. Die Menschen können kommen und gehen, wann sie mögen. Das Konzept hat sich in den letzten Jahren bewährt.“ Für die Veranstaltung gilt die 3-G-Regel. Der Eintritt ist kostenlos.

Weitere Wochentipps ab dem 4. November:

04.11.2021, 19:30
Evangelische Kirchengemeinde Porz
Pauluskirche, Zündorf, Houdainer Straße 32, 51143 Porz
„Der ewige Judenhass – vom Antijudaismus zum Antiisraelismus“
Vortrag im Rahmen des Festjahres „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“
Der Vortrag von Monika Möller „Der ewige Judenhass – vom Antijudaismus zum Antiisraelismus, geht auf die wesentlichen Motive und Diskriminierungsformen ein sowie auf die aktuelle israelbezogene Form des Antisemitismus. Die Vorsitzende des Vereins zur Förderung der Städtepartnerschaft Köln/Tel Aviv-Yafo, spricht am Donnerstag, 4. November, 19.30 Uhr, in der Pauluskirche Zündorf, Houdainer Straße 32. Der Eintritt ist frei. Die aktuellen Corona-Regeln wie etwa die „3-G-Regel“ sind zu beachten.

www.kirche-porz.de

04.11.2021, 19:30
Ev. Familienbildungsstätte Köln
Evangelische Familienbildungsstätte Köln (fbs), Kartäuserwall 24b, 50678 Köln
Konflikte in Patchwork-Familien
„familylab“-Workshop in der Evangelischen Familienbildungsstätte
Ein Elternabend am Donnerstag, 4. November, 19.30 Uhr bis 21.45 Uhr, in der Evangelischen Familienbildungsstätte Köln, Kartäuserwall 24b, beleuchtet Chancen und Stolperfallen, die das Leben in Patchwork-Familien mit sich bringen. Immer mehr Kinder und Eltern leben heutzutage in einer Patchwork-Familie und kennen die Herausforderungen und Konflikte dieser Familienform. So kommen häufig mehrere Familienwelten in diesem bunten Beziehungsgeflecht zusammen. Gegensätzliche Interessen, unterschiedliche Lebensstile und Werte führen dabei zu schwierigen Alltagssituationen. Unter Anleitung einer erfahrenen „familylab“-Seminarleiterin erhalten die Teilnehmenden Anregungen, um eigene Lösungen zu finden und Konflikte gemeinsam zu überwinden. Die Teilnahme kostet 7 Euro. Eine Anmeldung ist erforderlich.

www.fbs-koeln.org

05.11.2021, 18:00
Evangelische Kirchengemeinde Köln-Brück-Merheim
Johanneskirche, Am Schildchen 15, 51109 Köln
Hebräische und jiddische Lieder und Modern Klezmer
Konzert mit Ekaterina Margolin und dem Duo Doyna
Ekaterina Margolin studierte in Moskau Dirigieren, Gesang und Klavier. Sie kam 1997 nach Köln. In der Synagogengemeinde Köln gründete sie im Jahr 2000 den Erwachsenenchor “Schalom” und mehrere Kinder- und Jugendchöre, die sie seitdem leitet. Zusammen mit dem Duo Doyna gibt sie am Freitag, 5. November, 18 Uhr, in der Johanneskirche Brück, Am Schildchen 15, ein Konzert mit alten und neuen hebräischen und jiddischen Liedern sowie Modern Klezmer. Das Duo mit Annette Maye (Klarinette, Bassklarinette) und Martin Schulte (Jazzgitarre) verbindet in seinen Improvisationen berührende und mitreißende Klezmer Melodien mit Anklängen aus der Jazz-, Pop- und Punk-Musik. Ekaterina Margolin singt, spielt Klavier und führt durch das Konzert. Damit möglichst viele Interessierte teilnehmen können, wird das Konzert um 20 Uhr wiederholt. Eine Anmeldung mit Angabe von Namen, Kontaktdaten, Anzahl der Karten und die gewünschte Uhrzeit, per E-Mail an jane.dunker@ekir.de, ist erforderlich. Der Eintritt ist frei, um eine Spende wird gebeten.

www.ekir.de/brueck-merheim/kulturelle-veranstaltungen-572.php

05.11.2021, 19:00 / 08.11.2021, 19:00
Evangelische Kirchengemeinde Vingst-Neubrück-Höhenberg / Evangelische Kirchengemeinde Köln-Buchforst-Buchheim
Erlöserkirche, Burgstraße 75, 51103 Köln / Kreuzkirche-Buchheim, Wuppertaler Straße 21, 51067 Köln
Roman „Helenes Versprechen“ – zwei Lesungen
Die Autorin Beate Rösler liest am Freitag, 5. November, 19 Uhr, in der Erlöserkirche Höhenberg, Burgstraße 75, aus ihrem Roman „Helenes Versprechen“ vor. Darin wird die Geschichte der Kinderärztin Helene Bornstein erzählt, die während der Nazi-Diktatur um das Leben jüdischer Waisenkinder kämpft. Das Buch beruht auf wahren Begebenheiten. Christine Winterhoff moderiert den Abend. Tanya Rösler begleitet die Lesung am Saxophon. Um eine Anmeldung per E-Mail an andrea.kraska@ekir.de oder per Telefon 0221/9337662 wird gebeten. Es gilt die „3-G-Regel“. Der Eintritt ist frei, um eine Spende wird gebeten. Und die Evangelische Kirchengemeinde Köln-Buchforst-Buchheim lädt am Montag, 8. November, 19 Uhr, zu einer Lesung des Buchs in die Kreuzkirche, Wuppertaler Straße 21, ein. Sebastian Kopplin und Bernd Spehl werden die Lesung musikalisch mit Musik jüdischer Komponisten begleiten. Der Eintritt ist frei, um eine Spende wird gebeten. Eine Anmeldung per E-Mail an g.klame@ekibubu.de oder per Telefon 0221/691888 ist erforderlich. Der Einlass erfolgt gemäß der „3-G-Regel“.
www.vingstneubrueckhoehenberg.de

www.ekibubu.de

07.11.2021, 17:00
Trinitatiskirche
Trinitatiskirche, Filzengraben 4, 50676 Köln
„The Promise of Living“
Erlebnisabend mit dem Gürzenich-Chor Köln und dem Thusnelda-Gymnasium
Die Abschlussveranstaltung des gemeinsamen Projektes „The Promise of Living” des Gürzenich-Chors Köln und des Thusnelda-Gymnasiums Köln-Deutz findet am Sonntag, 7. November, 17 Uhr, in der Trinitatiskirche, Filzengraben 4, statt. Es erklingen Werke von Salmone Rossi, Franz Schubert, Max Bruch, Jacques Offenbach, Kurt Weill, Aaron Copeland und Eric Whitacre. Im Foyer wird eine Ausstellung mit Arbeiten der Schülerinnen und Schüler gezeigt. Guido Schiefen (Violoncello), Gereon Krahforst (Orgel) sowie der Gürzenich Chor musizieren unter der Leitung von Christian Jeub. Nach dem Konzert wird zu einem Umtrunk geladen. Eine Teilnahme ist nach den „3-G-Regeln“ möglich. Der Eintritt kostet im Vorverkauf 12 Euro, 6 Euro ermäßigt. Eintrittskarten gibt es im Internet über www.guerzenich-chor.de und eine Stunde vor Konzertbeginn an der Tageskasse in der Trinitatiskirche.

www.trinitatiskirche-koeln.de

07.11.2021, 17:00
Evangelische Kirchengemeinde Ichthys
Gemeindehaus Unter Gottes Gnaden, Zum Dammfelde 37, 50859 Köln-Widdersdorf
Benefiz-Orgelkonzert
Höhepunkte der französischen Orgelromantik
Die Evangelische Kirchengemeinde Ichthys veranstaltet am Sonntag, 7. November, 17 Uhr, im Evangelischen Gemeindehaus Widdersdorf „Unter Gottes Gnaden“, Zum Dammfelde 37, ein Benefiz-Orgelkonzert mit Stefan Heep. Der Organist trägt Höhepunkte der französischen Orgelromantik zugunsten von Lifegate vor. Die Organisation Lifegate unterstützt Kinder und Jugendliche mit Behinderung in Beit Jala im Westjordanland. Der Eintritt ist frei, um Spenden für Lifegate wird gebeten.

www.ichthys.de

07.11.2021, 17:00
Evangelische Kirchengemeinde Brühl
Christuskirche, Mayersweg 10, 50321 Brühl
Musik und Märchen vom Meer
Eine „verzauberte“ Stunde in der Christuskirche
Von Wind und Wellen, Seefahrern und Abenteuern sowie Walen und Meerjungfrauen handeln Musik und Texte, die am Sonntag, 7. November, 17 Uhr, in der Christuskirche Brühl, Mayersweg 10, vorgetragen werden. Pfarrerin Renate Gerhard liest aus Märchen vor und Marion Köhler spielt dazu an der Orgel. Der Eintritt ist frei.

www.kirche-bruehl.de

Text: APK
Foto(s): Weber/APK

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Solidarität und Berührbarkeit in der Corona-Krise – Die Medizin-Ethikerin Prof. Dr. Christiane Woopen sprach bei der Reformationsfeier in der Trinitatiskirche

Was trägt uns in Krisen?“, lautete die zentrale Frage bei der zentralen Reformationsfeier des Evangelischen Kirchenverbands Köln und Region in der Trinitatiskirche 2021. Und da stand natürlich der persönliche und gesellschaftliche Umgang mit der Corona-Pandemie im Mittelpunkt.

Zusammen feiern im evangelischen Dom

Stadtsuperintendent Bernhard Seiger begrüßte die zahlreichen Gäste im „evangelischen Dom“, darunter Stadtdechant Robert Kleine, und freute sich, „dass wir hier zusammen sein und feiern können“. Man habe erlebt, dass nichts selbstverständlich sei: „Weil wir unsere Verwundbarkeit gespürt haben. Weil wir die Bedrohung der Gesundheit unseres Landes und aller Nationen gesehen und verstanden haben.“

Der Reformationstag sei immer auch eine Zeitansage, die Antworten suche auf die Frage „Wo stehen wir?“ Die Ansprache bei der Feier hielt Prof. Dr. Christiane Woopen, Professorin für Medizin und Medizinethik. Bis vor einem Monat war Christiane Woopen an der Universität zu Köln tätig und seit Oktober lehrt sie an der Universität Bonn. Sie war Vorsitzende des Deutschen Ethikrates. Und sie ist Vorsitzende des europäischen Ethikrates.


Videoaufzeichnung – Reformationsfeier 2021

Die Reformationsfeier 2021 wurde live auf YouTube übertragen. Hier können Sie sich die Veranstaltung noch einmal in Ruhe ansehen.

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„Was trägt uns in Krisen? – Entdeckungen im Dialog“

Frau Woopen hat in Bonn die erste Hertz-Professur inne. Das Thema: Interdisziplinäre Erforschung des Lebens. Dazu gehört der Dialog der Medizin mit Ökonomie, Kulturwissenschaften, Soziologie und Theologie. Sie hatte ihrer Ansprache den Titel „Was trägt uns in Krisen? Entdeckungen im Dialog“ gegeben. „Aussichtslosigkeit und Unsicherheit, enttäuschte Hoffnung, Traurigkeit – alles Kennzeichen für etwas, das wir Krise nennen. Das Gewohnte und Vertraute wird infrage gestellt, das Normale wird zum Außergewöhnlichen, der Boden, auf dem man steht, wackelt und bricht weg“, führte sie ein und nannte vier Krisen, die die heutige Zeit prägen: Corona-Pandemie, die europäische Flüchtlingskrise von 2015/16, die globale Finanzkrise von 2006/07 und nicht zuletzt die ebenfalls globale Klimakrise.

„Manche halten das Krisenhafte sogar für DAS konstitutive Charakteristikum der Spätmoderne, die durch den Verlust traditioneller Verankerungen gekennzeichnet sei.“ Nun gehe es darum, mit diesen Krisen umzugehen. „Kraft kann aus Gesprächen und aus den Geschichten anderer entstehen, aus dem Sprechen mit Gott, aus dem Sein in der Natur, aus Musik, aus der Nähe zum Haustier, zu Familie und zu Freunden, ja selbst aus dem Mit-sich-selbst-allein-Sein“, erklärte die Professorin.

Lebendige Beziehung

All diese Quellen der Kraft hätten eines gemeinsam. Es gehe um eine Beziehung, die als lebendig erfahren werde. Es gehe laut dem Jenaer Soziologen Hartmut Rosa um Resonanz. Es gehe um „einen Modus des in die Welt gestellt Seins, in dem die so verschiedenartigen Beziehungen schwingen und ein Verhältnis des gegenseitigen Antwortens besteht, was auch ein nichtsprachliches Antworten sein kann. Das Gegenteil von Resonanz ist die Entfremdung, eine leblose Beziehung, etwas Stummes und Starres.“

Wer in resonanten Beziehungen lebe, empfinde sein Leben als sinnvoll und gelingend. Um in einer resonanten Beziehung ein Gegenüber sein zu können, der eine eigene Stimme habe und der die Stimme des anderen wahrnehmen und verstehen könne, brauche man eine Haltung dazu, was einem besonders wichtig und was unwichtig sei. Dazu seien Werte nötig.

Solidarität

Woopen nannte zwei, die ihr besonders wichtig erscheinen: Solidarität und Berührbarkeit. Für die Professorin ist Solidarität die entscheidende Grundlage, um eine weltweite Krise vom Ausmaß und der Komplexität von Corona bewältigen zu können. Zu Beginn sei es um Solidarität mit den Älteren gegangen, im Moment würden Ungeimpfte aufgerufen, sich impfen zu lassen. Auch das Krankenhauspersonal erfahre Solidarität. An Solidarität mit jungen Menschen habe es in der Krise gefehlt. Das sei deutlich geworden an den Statements die von Mitgliedern der Evangelischen Studierendengemeinde während der Reformationsfeier über ihre Befindlichkeiten unter Corona vorgetragen worden seien. In vielen Schulen fehle es immer noch an Kompetenzen der Lehrkräfte und an Digital-Konzepten, um den Schülerinnen und Schülern das mitzugeben, was ihr Leben in so vielen Hinsichten prägen werde: Bildung.

Solidarität ist eine barmherzige Gerechtigkeit, oder wenn man das wie ich finde sehr schöne, aber für manche altertümlich klingende Wort Barmherzigkeit vermeiden möchte, eine wohltätige Gerechtigkeit. Solidarität beruht auf einem Gefühl der Zusammengehörigkeit und fördert dies, und sie umfasst die Bereitschaft zur Hilfe für diejenigen, die sie benötigen, auch unter Inkaufnahme eigener Opfer“, fasste Woopen zusammen. Solidarität sei emotional,  institutionell, kulturell und intellektuell ein Beziehungsgeschehen und ein Ausdruck von Resonanz. Das gelte für zwei Menschen wie für den Umgang etwa mit Impfstoffen innerhalb der Weltgemeinschaft.

Berührbarkeit

Der zweite Wert, der für resonante Beziehungen im Sinne Hartmut Rosas eine geradezu unverzichtbare Voraussetzung ist, ist die Berührbarkeit“, fuhr die Medizin-Ethikerin fort und erläuterte: „Bin ich berührbar, so spricht das Wahrgenommene zu mir, dann kann und werde ich darauf eine Antwort geben, auch wenn die Antwort zunächst Ratlosigkeit sein kann, ich aber zumindest auf der Suche nach meiner Stimme bin.“

Berührbar und empfänglich zu sein, habe eine Voraussetzung. Man müsse für sich selbst berührbar sein, eine lebendige Beziehung mit sich selbst führen. Damit hätten viele ein Problem, weil sie in sich nichts finden würden, aus dem heraus sie sich selbst etwas sagen könnten und das eine positive Bedeutung für sie habe. „Dabei gibt es doch in einem selbst das Größte und Wunderbarste schlechthin: nämlich Gott.

Gott ist uns nicht äußerlich, vielmehr hat er jede und jeden von uns von Beginn an in seine Liebe hineingenommen – in seine Liebe zu sich selbst als Liebe zu Jesus im Heiligen Geist.  Diese Zusage und Gewissheit ewiger, unverbrüchlicher Liebe ist es, die wir in uns finden können.“ Die könne man aber nur finden, wenn einem andere vom Glauben und von den Geschichten aus der Bibel erzählten. Wen diese Geschichten berührten, der könne die Gewissheit wachsen spüren, von der Liebe Gottes getragen zu sein und die Angst vor der eigenen Verletzlichkeit und Endlichkeit zu verlieren. „Geh Deinem Gott entgegen – bis zu Dir selbst!“ Die Ansprache von Christiane Woopen können Sie hier nachlesen. 

Grußwort Bürgermeister Wolter

Bürgermeister Andreas Wolter überbrachte die Grüße von Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Er warf einen Blick zurück auf die vergangenen eineinhalb von der Pandemie geprägten Jahre. Wie so viele hat er den Keller aufgeräumt, aber auch schnell erfahren, wie sehr ihm die sozialen Kontakte gefehlt haben. Wolter hat viele Wanderungen in der Eifel unternommen und das Warten auf die erste Impfung als Tortur wahrgenommen. Dann kam die Flut. „Ich habe erfahren, dass die Grundrechte und ein sicheres Zuhause alles andere als selbstverständlich sind.“ Er appellierte wie Woopen an die internationale Solidarität: „Die Pandemie ist erst vorbei, wenn auch die wirtschaftlich schwächeren Länder genug Impfstoff haben.“

Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Stefan Rahmann

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