„Alte Strukturen werden uns erschöpfen“ – Nachrichten von der Synode des Evangelischen Kirchenkreises Köln-Nord – Präses Thorsten Latzel warf einen Blick in die Zukunft der rheinischen Kirche

Der Gottesdienst wurde live aus der evangelischen Kirche in Niederaußem gestreamt

Ein Text aus dem Kapitel 25 des Matthäus-Evangeliums mit der Überschrift „Vom Weltgericht“ stand im Mittelpunkt des Gottesdienstes zum Auftakt der Herbst-Synode des Evangelischen Kirchenkreises Köln-Nord. Der Bedburger Pfarrer Thorsten Schmitt legte ihn in seiner Predigt so aus: „Wenn es Gott als Weltenrichter geben sollte, wird er Machthaber wie Lukaschenko in Weißrussland ganz sicher verurteilen. Wenn wir so denken, machen wir es uns allerdings zu leicht“, befand Schmitt weiter. Er hat nach eigenem Bekunden das Wort Gottes immer als Anlass verstanden, sich selbst zu hinterfragen und neue Perspektiven einzunehmen. Der Richter trete in dem Bibelwort selbst in die Rolle derer ein, die er verurteile. Gott decke die Ungerechtigkeit der Welt auf. „Gehören wir zu den Gerechten, zu denen, die den Ruf Gottes in der Not der anderen gehört haben?“ fragte er daher. Jesu Christi Vision vom Weltgericht schärfe aber auch ein: „Maßstab für Gerechtigkeit ist immer das Schicksal des Geringsten.“ Und klar sei auch, dass in allen Menschen Böcke und Schafe zugleich steckten: „An einem Tag helfe ich Kranken, am anderen Tag vermeide ich den Besuch.“ Per Livestream feierten die Synodalen den Gottesdienst aus der Evangelischen Kirche in Niederaußem.

Die Synode hätte eigentlich im Bedburger Schloss stattfinden sollen. Stattdessen begrüßte Superintendent Markus Zimmermann die Synodalen wegen des rasanten Anstiegs der Corona-Infektionen in einer Zoom-Konferenz. Den eigentlichen Tagungsort hatte man mit Bedacht ausgewählt. Denn im Bedburger Schloss traf sich vom 3. bis 4. Juli 1571 die „Bedburger Synode“. Der Elsdorfer Pfarrer Martin Trautner warf einen Blick zurück. Sein Vortrag suchte nach Antworten auf die Frage: „Die Bedburger Synode: Meilenstein protestantischer Identität oder historische Episode auf dem jetzigen Gebiet unseres Kirchenkreises?“ Er referierte über die sogenannten Heckenpredigten in den Niederlanden. Prediger riefen darin zu Aktionen wie den Bilderstürmen auf. Die Einheimischen wurden von den Spaniern unterdrückt. Für Verdruss sorgten auch die Unzufriedenheit mit der katholischen Kirche und Engpässe bei der Lebensmittelversorgung. 400 Kirchen wurden in dieser Zeit schließlich gestürmt und geplündert. Das rief die spanische Besatzungsmacht auf den Plan. Der Herzog von Alba setzte im Auftrag des spanischen Königs einen Rat der Unruhen ein, den die Niederländer wegen seiner vielen Todesurteile bald „Blutrat“ nannten. Viele Aufständische flüchteten unter anderem an den Niederrhein. Dort waren sie wirtschaftlich erfolgreich und bauten tragfähige kirchliche Strukturen auf. Ziel war aber unter der Führung von Wilhelm von Oranien auch die Befreiung der Niederlande und die Rückkehr der Exilanten.

Die Bedburger Synode war daher stark niederländisch geprägt. Die Teilnehmer der Synode vereinbarten zum Beispiel, die Niederlande zu befreien. Die Bedburger Synode vertagte auch die Entscheidung über eine Kirchenverfassung. Es war einer Generalsynode in Emden vom 4. bis 13. Oktober vorbehalten, presbyterial-synodale Strukturen zu beschließen. 1610 beschloss eine Generalsynode der vereinigten Herzogtümer Jülich-Kleve-Berg die presbyterial-synodale Ordnung für die deutschen Gemeinden, die damit unabhängig wurden von der niederländischen Kirche.

Präses Dr. Thorsten Latzel nahm digital an der Synode des Kirchenkreises teil

Neben viel historischem Rückblick warf Präses Dr. Thorsten Latzel einen Blick in die Zukunft der rheinischen Kirche: „Welche wirkmächtige Erzählung wird es aus unserer Zeit geben? 450 Jahre später sprechen wir immer noch über das, was in Bedburg passiert ist. Was können wir tun, um die Geschichte des Protestantismus gut weiter zu führen?“ fragte der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, der auf der Synode des Kirchenkreises zu Gast war. Latzel bezog sich auf das Papier „E.K.I.R. 2030“, das die Kirchenleitung jüngst veröffentlicht hat. Einen Mangel an Papieren gebe es in der rheinischen Landeskirche sicher nicht, räumte der Präses ein. Aber in diesem gehe es um sehr praktische Folgen intensiven Nachdenkens. Einsparungen seien immer Schnitte ins lebende Fleisch. „Wir wollen nicht nur reaktiv auf geringer werdende Mittel eingehen, sondern aktiv gestalten. Wir haben kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem. Wie schaffen wir es gerade als kleiner werdende Kirche nicht nur auf uns selbst, sondern nach außen zu wirken.“ Es gelte, überforderte Presbyterien zu entlasten und die Kirchenkreise zu stärken. „Wir haben derzeit ein hohes Maß an gremialer Selbstbeschäftigung. Wir verändern jetzt Kontexte und probieren Ideen aus. Wir haben einen agilen und fehlerfreundlichen Ansatz. Wir denken Kirche zukünftig nicht von unseren Strukturen aus, sondern vom Kontakt zu den Menschen.“

Im kirchlichen Leben würden nur zehn Prozent der Mitglieder auftauchen. Latzel diagnostizierte einen „echten Kontaktverlust“ und nannte fünf Handlungsfelder. Kirche müsse im Leben der Menschen mitgliederorientiert mitgehen, junge Menschen zwischen 20 und 40 Jahren erreichen, neue Kommunikationswege in digitalen Medien beschreiten und schließlich strategische Kooperationen mit außerkirchlichen Einrichtungen eingehen. Der Präses wünscht sich eine service-freundliche Kasualpraxis. Es stellt sich auf Kirchenkreisebene eine Agentur vor, die rund um die Uhr erreichbar ist und Termine für Trauerfeiern, Hochzeiten und Taufen vermittelt. Auch sollten die Gemeinden darüber nachdenken, ihre Räume für zivilgesellschaftliches Engagement zu nutzen. Zum Schluss lautete Latzels Appell: „Alte Strukturen werden uns erschöpfen. Wir brauchen den Mut, neue Formen zu leben. Auch mit weniger Menschen und Mitteln werden wir sehr gut Kirche sein können. Es geht uns besser als in der meisten Zeit unserer Geschichte und an den meisten Orten dieser Welt. Bringen wir den Mut auf, hinauszugehen zu den über zwei Millionen Christinnen und Christen, die meistens in unseren Gemeinden nicht auftauchen.“ Das neue Papier der Kirchenleitung stieß bei den Synodalen auf Zustimmung, wie sich aus den zahlreichen Wortmeldungen ablesen ließ.

Superintendent Markus Zimmermann schaute auf die Jahre 2019 und 2020 zurück

Superintendent Zimmermann hatte seinen Jahresbericht den Synodalen vorab zur Verfügung gestellt. Er hob im mündlichen Vortrag einige Punkte heraus. „Als ich den Bericht verfasst habe, hatte ich auf mehr Entspannung bei der Pandemie gehofft. Es stellte und sich wieder die Frage: Wie gehen wir mit Gottesdiensten und anderen präsentischen Veranstaltungen um? Dramatisch war das an Weihnachten und Ostern. Es hat viele Enttäuschungen gegeben, die ich alle auf ihre Weise nachvollziehen kann. Niemand hat es sich leicht gemacht. Letztendlich müssen die Entscheidung die Presbyterien vor Ort treffen. Wieder stehen Entscheidungen für Weihnachten an. In unseren Gemeinden hat keinen Fall von Corona gegeben, die sich in einer Kirchengemeinde ausgebreitet hat. „Machen Sie bitte alles möglich, damit es auch präsentische Veranstaltungen gibt“, appellierte er an die Presbyterien.

Das Wort „Regionalisierungsprozess“ für anstehende Strukturveränderungen möchte der Superintendent nicht mehr verwenden und es durch „Kollegialisierungsprozess“ der Gemeinden ersetzen. „Wir nehmen uns gegenseitig wahr als Schwestern und Brüder mit den gleichen Zielen und Interessen.“ Zimmermann warf auch einen Blick in die Zukunft und warb bei den Synodalen um die Teilnahme am geplanten Tauffest am Rheinufer, den Kirchbautag und den Presbytertag im kommenden Jahr.

Finanzkirchmeisterin Gaby Orbach stellte den Jahresabschluss für 2020 vor. „Wir haben das Jahr deutlich besser abgeschlossen als geplant.“ Der Kirchenkreis hat einen Überschuss in Höhe von 216.226 Euro erwirtschaftet. Dazu beigetragen hätten corona-bedingte Minderaufwände und eine stattliche Dividende aus der Kirchenkreis-Beteiligung an der Antoniter Siedlungsgesellschaft. 28.000 Euro wurden als Haushaltsmittel für das Jahr 2021 übertragen. Jeweils 10.000 spendet der Kirchenkreis an die Dr. Peter-Deubner-Stiftung, die regelmäßig Obdachlosenfrühstücke ausrichtet, und an „Zartbitter“. Einstimmig billigten die Synodalen auch die Fusion der Kirchengemeinden Riehl und Niehl sowie die damit verbundenen Veränderungen der Kirchenkreis-Grenzen.

Personalia:
Superintendent Markus Zimmermann verabschiedete Pfarrerinnen und Pfarrer aus der Synode, die im kommenden Jahr in den Ruhestand treten: Hanser Brand von Bülow war Berufsschulpfarrer und viele Jahre Skriba und stellvertretender Skriba im Kreissynodalvorstand. Jürgen Mocka arbeitete 35 Jahre als Pfarrer in Longerich. Pfarrerin Sabine Petzke verlässt die Gemeinde in Pulheim. Friedemann Knizia war viele Jahre als Pfarrer in Lindlar tätig und hat danach Strukturveränderungen im Kirchenkreis begleitet. Siegfried Kuttner dient seit 1988 in der Kirchengemeinde Ehrenfeld als Pfarrer. Eva Schaaf, Seelsorgerin in der Justizvollzugsanstalt, tritt auch in den Ruhestand.

Stichwort Kirchenkreis Köln-Nord
Dem Kirchenkreis Köln-Nord gehören 16 Gemeinden mit rund 68.000 Gemeindegliedern an. Sie liegen einerseits im Kölner Norden wie die Hoffnungskirchengemeinde in Worringen, im Norden von Niehl und Chorweiler, von Ehrenfeld und Braunsfeld bis zum Rhein im Osten. Andererseits gehören auch die Kirchengemeinden im nördlichen Rhein-Erft-Kreis außerhalb von Köln in Bedburg, Bergheim, Elsdorf und Pulheim zum Kirchenkreis. Die Interessen aller Gemeinden werden im „Parlament“ des Kirchenkreises, der Kreissynode, von derzeit 106 Synodalen vertreten.

Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Stefan Rahmannan Rahmann / APK

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