„Friedensethik in Umbruchzeiten“: Militärdekanin Petra Reitz beim Jahresempfang

Eine „Friedensethik in Umbruchzeiten“ war Thema beim traditionellen Jahresempfang des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region. Stadtsuperintendent Bernhard Seiger hat zahlreiche Gäste aus der Zivilgesellschaft bei der traditionellen Veranstaltung begrüßt, zu der der Verband immer am Montag nach dem ersten Advent einlädt. Gekommen waren neben vielen anderen die Bürgermeister Andreas Wolter, Ralph Elster und Brigitta von Bülow, Stadtdechant Robert Kleine, Gregor Stiels, Vorsitzender des Katholikenausschusses der Stadt Köln, Miguel Freund von der Synagogengemeinde, Jürgen Wilhelm von der Christlich-Jüdischen Gesellschaft, Mitglieder des Rates der Religionen und des ACK. Der Kölner Polizeipräsident Falk Schnabel hatte sich ebenso eingefunden wie der Sozialdezernent Harald Rau. Und neben Seiger nahm auch die Superintendentin Susanne Beuth sowie ihre Amtskollegen Markus Zimmermann und Torsten Krall am Empfang teil. Aus Düsseldorf war Oberkirchenrätin Wibke Janssen angereist.

Entwicklung von Friedenskonzepten

In seiner Begrüßungsrede ging Seiger auf den Angriffskrieg in der Ukraine ein. „Wir spüren, dass der Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine ein tiefer Einschnitt in diesem Jahr war.  Wir haben gemerkt, wie uns die Ereignisse erschüttert haben. Undenkbares war offensichtlich geworden. Die Souveränität von Staatsgrenzen gilt auch in Europa nicht mehr selbstverständlich, 77 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs.“ Fragen seien aufgekommen. Dürfe man Waffen liefern? Die Geflüchteten aus der Ukraine, die Energie-Abhängigkeit von Russland, Menschen sorgten sich vor Lieferengpässen, kalten Wohnungen und einbrechender Industrieproduktion. Die Evangelische Kirche habe in den vergangenen Jahrzehnten Friedenskonzepte entwickelt, die auf eine zivile Sicherheitsarchitektur vertraut hätten. „Wir haben in unserer Tradition sowohl die pazifistische Denkweise, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus guten Gründen viele Anhänger fand und die sich auch biblisch begründen lässt. Zugleich haben wir eine verantwortungsethische Denkweise, die mit der Realität des Bösen und von Gewalt rechnet und daher Kriterien zur Verteidigung und Abwehr des Bösen mit Gewalt reflektiert.“

Seiger verwies auf die Friedensdenkschrift der EKD von 2007, die beide Denkrichtungen in Balance halte. „Die heftigen Debatten über den richtigen Weg hat unsere Kirche in den vergangenen Monaten in aller Öffentlichkeit geführt. Wir spüren im ehrlichen Dialog die Zerrissenheit, wir sehen das Recht der Argumentation der jeweils Anderen.“ Seiger betonte angesichts vieler autoritärer Regime weltweit den Wert der Freiheit. Die Evangelische Kirche wolle und fördere die Kultur des Diskurses und der Meinungsfreiheit. „Die Suche nach dem Willen Gottes für unsere Zeit im wachen Schauen auf das Gewissen und unter Benutzung des eigenen Verstandes, das treibt uns an. Auch und gerade am Beginn des neuen Kirchenjahres! So wollen wir als Christen – evangelisch und katholisch – leben.“

Pazifistisch akzentuierte Friedensethik

Als Gastrednerin hatte man Pfarrerin Petra Reitz gewinnen können, Leitende Militärdekanin Westdeutschlands. Die Evangelische Kirche habe in den vergangenen Jahrzehnten eine eher pazifistisch akzentuierte Friedensethik vertreten, warf die Dekanin einen Blick zurück und nannte mit Martin Niemöller einen profilierten Vertreter des pazifistischen Wegs. Otto Dibelius habe einen anderen Weg verfolgt und als EKD-Ratsvorsitzender durchgesetzt, dass mit der Aufstellung der Bundeswehr auch eine evangelische Militärseelsorge etabliert wurde. Beide Seiten hätten lange nebeneinander existiert. Ausdruck dessen seien die Heidelberger Thesen von 1959 gewesen. Man habe sich gegenseitig anerkannt.

Reitz wies vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine allerdings auf ein großes Manko dieser pazifistischen Friedensethik hin: „In den theologischen Grundsatzerwägungen fehlt völlig eine skeptische Anthropologie auf der Grundlage eines christlichen Menschenbildes. Der Mensch ist nicht gut von Jugend an, und wir können nicht voraussetzen, dass alle immer nur gute Absichten haben.“ Reitz ritt zu einer Zurückbesinnung, um der skeptischen Anthropologie in einer weiterentwickelten Friedensethik Raum zu geben. „Und was dann aus einer skeptischen Anthropologie für realpolitische Schlüsse gezogen werden, ist Aufgabe der Politik, nicht der Kirche.“

Universalität der Menschenrechte

Wer sich für gerechten Frieden und die Universalität der Menschenrechte einsetzen wolle und wer dem Recht einen hohen Stellenwert einräume, dürfe die Frage nach der Durchsetzung dieses Rechts nicht gering achten. Es sei unabdingbar, dass man sich mit anderen Staaten in einer globalisierten Welt weiter vernetze und wirtschaftliche und soziale Interdependenzen herstelle, „die uns aufeinander angewiesen sein lassen, aber auch und zugleich Abschreckung zulassen“. Die Ukraine habe 1996 ihre Atomwaffen abgegeben. „Es wäre zu fragen, ob sie in dieser Form angegriffen worden wäre, wenn sie sie noch hätte“, so die Militärdekanin.  Ihr Fazit: „Wenn wir also Interdependenzen durch globale wirtschaftliche und soziale Vernetzungen weiter ausbauen, die uns immer mehr aufeinander angewiesen sein lassen und Abschreckung vorhalten, dann muss evangelische Friedensethik hier ihren Beitrag leisten, indem sie das Verhältnis beider Komponenten näher bestimmt unter Berücksichtigung einer realistischen christlichen Anthropologie.“

Bürgermeister Andreas Wolter überbrachte die Grüße von Oberbürgermeisterin Henriette Reker und zeigte sich bestürzt angesichts des Krieges in der Ukraine. Er rief die Kölnerinnen und Kölner zur Unterstützung der Menschen in der Ukraine auf, „die ohne Strom, Wasser und Heizung leben müssen“. Er sei, so der Bürgermeister, während der Nachrüstungsdebatte zur Politik gekommen. „Ich hätte nie gedacht, dass ich mich mal für Waffenlieferungen einsetze. Jetzt ist es soweit.“ Es sein eine Situation eingetreten, „in der man nicht neutral bleiben kann, weil alle menschlichen Werte mit Füßen getreten werden“.

Der Jahresempfang wurde musikalisch begleitet von dem Chor  CONSTANT, der unter der Leitung von Judith Mohr schon bei der diesjährigen Reformationsfeier für Furore gesorgt hatte.

Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Stefan Rahmann

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