Köln stellt sich quer: Bündnis fordert Solidarität und klare Wende in der Energiekrise
Armut kann jede und jeden treffen. Und sie trifft schon jetzt viel mehr Menschen als noch vor wenigen Jahren – Tendenz steigend, besonders angesichts der steigenden Energiekosten, die viele Bürgerinnen und Bürger in wirtschaftliche Bedrängnis und existenzielle Notlagen bringen können. Darum organisierte das Bündnis „Köln stellt sich quer“ (KSSQ), das auch vom Evangelischen Kirchenverband Köln und Region unterstützt wird, mit mehr als 50 Initiativen und Verbänden die Kundgebung „Arsch huh…Zäng ussenander. Mit uns für ein solidarisches Köln“ auf dem Deutzer Ottoplatz. Sie fand unmittelbar vor dem großen Jubiläumskonzert mit Kundgebung zu „30 Jahre Arsch huh – Wachsam bleiben!“ in der Lanxess-Arena statt.
„Niemand darf im Winter zu Hause im Kalten oder Dunkeln sitzen!“ Reiner Hammelrath, einer der Sprecher von KSSQ, formuliert eine der Kernforderungen des Bündnisses deutlich. Wer von seinem Einkommen nicht mehr leben und vor allem seine Energie- und Mietkosten nicht mehr bezahlen kann, muss unterstützt werden, heißt es an diesem Abend immer wieder.
„Bei der Bewältigung der Krise und den Entlastungsmaßnahmen muss es gerecht zugehen“, forderte Hammelrath. Das sei auch wichtig, um den Zusammenhalt der Gesellschaft zu erhalten und „rechten Demagogen keine Chance zu lassen“. Populisten würden die Krisen, die Belastungen und Verunsicherungen der Bürgerinnen und Bürger für ihre Zwecke ausnutzen und versuchen, die Menschen zum rechten Rand zu ziehen, warnten viele Rednerinnen und Redner.
Daseinsfürsorge braucht Finanzierung
Nicht nur immer mehr Menschen geraten unter Existenzdruck, sondern auch die Institutionen, die ihnen beistehen wollen: die Wohlfahrtsverbände und Hilfswerke sowie die Einrichtungen im Gesundheitswesen und Sozialträger. Die Organisationen der Daseinsfürsorge, das Gesundheitswesen und die Kliniken müssten geschützt werden, damit sie ihre Aufgaben weiter erfüllen können, betonte Witich Roßmann, DGB-Vorsitzender und KSSQ-Sprecher. Viele Unternehmen wälzten die gestiegenen Energiekosten über die Preise auf die Menschen ab. „Das können die Unternehmen der Daseinsfürsorge nicht“, so Roßmann. „Und darum stehen wir heute hier und kämpfen für sie!“
Er moderierte ein Gespräch mit den Vertreterinnen von Diakonie und Caritas, die deutlich machten, wie wichtig das sei. „Wir brauchen eine auskömmliche Finanzierung, um die Menschen auch weiterhin begleiten und vertrauensvoll unterstützen zu können“, sagte Kerstin Bienek, bei der Caritas als „Koordinatorin für Seniorennetzwerke“ tätig. Doch es sind nicht nur die alten Menschen, die sich nach einem Leben voller Arbeit ihren Lebensabend nicht mehr leisten können und auf Angebote wie die Tafeln angewiesen sind.
Immer wieder wurde an diesem Abend deutlich, dass auch Menschen, die bislang zur Mittelschicht gehörten und etwa ein Brutto-Einkommen über 3000 Euro haben, von ihrer Arbeit nicht mehr leben können. Steigende Lebenshaltungs- und Energiekosten sowie steigende Mieten sorgen dafür, dass viele Menschen ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können und in die Schuldenfalle geraten.
Diakonie will Schuldnerberatung aufstocken
„Wir haben eine sehr große Nachfrage nach Schuldnerberatung und zu wenige Angebote, dass wir kostenfrei Beratung anbieten können“, bedauerte Maike Cohrs, Mitarbeiterin der Schuldner- und Insolvenzberatung des Diakonischen Werkes Köln und Region. Erst habe es die Corona-Krise mit Kurzarbeitergeld oder Jobverlust für viele gegeben, jetzt die steigenden Kosten und Energiepreise: „Alle rufen nach Schuldnerberatung und wir können nur vertrösten. Und es werden immer mehr.“
Cohrs berichtete, dass ein Drittel der Haushalte keine Rücklagen bilden könne und durch die Corona-Zeit keine Ersparnisse mehr habe. „Wenn dann Riesen-Nachforderungen kommen vom Energieversorger – wie soll das bezahlt werden? Das ist die Frage, die sich viele stellen, und wovor viele Angst haben.“ Dies setze sich fort in der Angst, auch andere Kosten nicht mehr tragen zu können. „Dann sparen die Menschen am Essen oder bei den Kindern – und das kann es nicht sein!“
Die Schuldnerberatung sei „eigentlich eine Beratung, die immer helfen kann“, so Cohrs. „Wir haben immer Auswege, wir können immer Existenzen sichern. Aber im Moment sind wir auch an einem Punkt, wo wir gar nicht mehr wissen, wie wir helfen sollen. Und das ist wirklich für die Beraterinnen und Berater eine sehr, sehr schwierige Situation.“ Immerhin hatte Jörg Zeißig, Geschäftsführer des Diakonischen Werkes Köln und Region, zuvor in einem Interview mit DOMRADIO.DE in Aussicht gestellt, dass kurzfristig die Mittel in der Schuldnerberatung aufgestockt werden, um mehr Menschen zu helfen, die unverschuldet in Not geraten.
Populismus wirkt als Brandbeschleuniger
Sowohl „Köln stellt sich quer“ als auch die AG „Arsch huh“ setzen sich von ihren Ursprüngen her für eine Gesellschaft ein, in der Menschen in Frieden miteinander leben können. Für Toleranz, Respekt und Gerechtigkeit – gegen Rassismus und Antisemitismus, gegen Rechte und (Neo-)Nazis. Beim Kampf gegen Benachteiligung und die Spaltung der Gesellschaft dürfe man die Geflüchteten nicht vergessen, mahnte Claus-Ulrich Prölß, Geschäftsführer des Kölner Flüchtlingsrats. „Arsch huh“ hatte vor 30 Jahren als Initiative Kölner Künstler und Künstlerinnen sowie Bürgerrechtler begonnen, als Reaktion auf den Solinger Brandanschlag auf die Familie Genç in Solingen und die brennenden Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland.
In diesem Jahr sei die Zahl der Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte und Geflüchtete deutlich angestiegen, so Prölß. „Es kommt wieder verstärkt zu rassistischer und rechtsextremer Gewalt, zu Hass und Hetze gegenüber Geflüchteten“, sagte er. Politiker und manche Medien hätten damals die Stimmung gegen Geflüchtete aufgehetzt – und heute passiere Ähnliches, warnte Prölß. „Und nicht nur die AfD und andere Verfassungsfeinde sind menschenverachtend unterwegs und heizen auch heute wieder die Stimmung an“, betonte der Geschäftsführer des Flüchtlingsrates. „Auch manche konservative Politiker versinken dabei zunehmend in dumpfem Populismus und wirken dabei als Brandbeschleuniger.“
Gleichbehandlung für alle Geflüchteten
Menschen flöhen nicht wegen der Sozialhilfe nach Deutschland. Das habe die Migrationswissenschaft erst kürzlich erneut nachgewiesen. Mit solchen Aussagen werde die Gesellschaft gespalten, aber auch die verschiedenen Flüchtlingsgruppen untereinander. Das bereite den Boden für Gewalt und andere kriminelle Taten. Ukrainische Schutzsuchende, aber auch Schutzsuchende aus allen anderen Staaten bräuchten gleichermaßen sichere und menschenwürdige Aufnahmebedingungen. Flüchtlinge sollten nicht unterschiedlich behandelt werden.
Köln stellt sich quer (Facebook)
Solidarität mit den Menschen im Iran
Für Gänsehaut und Tränen sorgte bei den Tausenden in der Lanxess-Arena der Auftritt der Sängerin Sogand. Die im Iran geborene und in Deutschland aufgewachsene Künstlerin war aus London nach Köln gekommen, um im „Arsch huh“-Konzert, begleitet von zahlreichen, vor allem jungen Aktivistinnen und Aktivisten, das Lied „Baraye Azadi – Für die Freiheit“ zu singen, dem minutenlange Sprechchöre folgten. Der Auftritt setzte ein Zeichen, dass man sich mit den Menschen im Iran solidarisiert, die seit dem durch Polizeigewalt herbeigeführten Tod von Mahsa Amini in Teheran am 16. September für ein Ende des Regimes und einen Wandel im Iran protestieren und dabei ihr Leben riskieren.
Diesem Protest und der Solidaritätserklärung schließt sich auch Pfarrerin Dorothee Schaper an, die Frauenbeauftragte des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region. Sie hat eine Übersetzung des Liedes, das zur Hymne der Proteste wurde, verfasst. Diese kann hier abgerufen werden: Baraye
Lange Lesenacht an der Kartäuserkirche
Am Internationalen Tag der Menschenrechte, Samstag, 10. Dezember, findet in der Kartäuserkirche eine Lange Lesenacht statt, die sich unter den Schlagworten der Proteste im Iran, „Frauen Leben Freiheit“ mit den Frauen im Iran, aber auch in Afghanistan und an anderen Orten solidarisiert. Poetische, dokumentarische, biographische, historische und tagesaktuelle Texte sowie musikalische Unterbrechungen aus dem Iran, aus Afghanistan, aus dem Exil werden vorgetragen. Die Veranstaltung bildet den Abschluss der „Orange Days konkret: Nein zu Gewalt gegen Frauen!“.
Mitwirkende sind Isabel Schayani, Nicola Landgrebe, Mathias Bonhoeffer, Mehrdad Razi, Dorothee Schaper, Thomas Frerichs, Carolin Schreiber, Sinat und Ali Porsani und viele weitere. Beginn ist um 18 Uhr (Kartäusergasse 7). Der Eintritt ist frei, Spenden werden erbeten. Weitere Informationen finden Sie hier 22-2OrangeDays2E-web
Text: Hildegard Mathies
Foto(s): Hildegard Mathies
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