MAK: Frauen im Spannungsfeld der „To do“-Listen

Auf der Leine im Garten der Kölner Melanchthon-Akademie (MAK) bewegt sich Wäsche im Wind. Aus der Entfernung mag das Weißzeug noch schmutzig erscheinen – doch ein weiterer Waschgang ist nicht nötig. Wer nahe an die Kleidungsstücke herantritt, erkennt nicht Flecken, sondern Schlagworte. Bewusst auf die Stoffe geschriebene Verben und kurze Sätze. Sie geben nur ausschnittsweise das wieder, was Frauen tatsächlich machen beziehungsweise wie selbstverständlich von ihnen erwartet wird: lieben, trösten, beraten, verbinden, kochen, aber nur leckeres Essen, Woche planen, zuhören, verstehen, Rücksicht nehmen, stark sein, kümmern, care 4 all, satt & glücklich machen, kuscheln, egal wie beschäftigt die selbständige Mama ist, spielen, pusten, wenn es weh tut, (be)schützen, E-Mail-Fach aufräumen, Essen für Kind und Hund bestellen, immer freundlich bleiben, gut kommunizieren…

Die Mitmach-Performance „Nur noch die Wäsche“ bildete ein Element der Veranstaltung „Kunst & Wäsche“ der Melanchthon-Akademie zum Weltfrauentag. Gut 15 Frauen erlebten ein buntes, inspirierendes Programm mit bildender Kunst und Musik, Aktion und Podiumsgespräch, Austausch und Imbiss. Eine Präsentation mit Werken von vier Künstlerinnen eröffnete das kleine Fest. Die vier Frauen haben sich in der Pandemie über Internet kennengelernt. Eine von ihnen, Robelis Rodriguez Mijares, war es auch, die bei Lena Marie Felde, MAK-Studienleiterin für die Fachbereiche Kultur und Kreativität, angefragt hatte, ob man nicht etwas zum Weltfrauentag organisieren wolle. Felde holte ihre Kolleginnen Daniela Krause-Wack und Pfarrerin Dorothee Schaper mit ins Boot. „Das hat sich verselbständigt. Plötzlich sind die Ideen nur so hin und her geflogen“, berichtete Felde in ihrer Begrüßung von der Programmentwicklung.

Aufgaben in Familie, Freundeskreis und Job

„Ja, da müssen wir was machen“, war auch für Krause-Wack sofort klar. In den beiden vergangenen Jahren habe man aufgrund Corona auf Weltfrauentag-Angebote verzichtet, so die Studienleiterin. Sie ist in der MAK zuständig unter anderem für die Fachbereiche Persönlichkeit, Gesundheit, Kommunikation. Auch und gerade die beiden Jahre der Pandemie hätten eindrucksvoll aufgezeigt, was Frauen zuhause für ihre Familien leisteten, was in ihren Berufen. Sei es an der Supermarkt-Kasse, sei es in Pflege- und Sozialberufen, so Krause-Wack. Frauen hielten die Gesellschaft am Laufen. Ein wichtiges, häufig unbeachtetes, zumindest unterschätztes Thema sei Mental Load. Der Begriff meint den Stress und Erschöpfungszustand, meint die psychische Belastung, unter der viele Frauen leiden, die Care- und Sorge-Arbeit leisten. Die sich tagein, tagaus kümmern um die ungezählten, häufig „unsichtbaren“ Aufgaben in Familie, Freundeskreis und Job.

Mit der Aktion „Nur noch die Wäsche“ begaben die Frauen sich in das Spannungsfeld von Mental Load und Care-Arbeit. Sie beschrifteten Wäsche mit ihren regelmäßigen „To do“-Listen. Indem die Ergebnisse zunächst draußen auf die Leine gehängt, und diese später am Zaun zur Straße platziert wurde, machten die Urheberinnen schwarz auf weiß öffentlich sichtbar, was Frauen leisten. So sollte die Aktion laut Krause-Wack den Teilnehmerinnen nicht nur Spaß bereiten, sondern für sie auch befreiend wirken.

„Mit Kunst hat es angefangen“, erinnerte Pfarrerin Dorothee Schaper die inhaltlichen Diskussionen in der Vorbereitung. „Wäsche kam hinzu.“ Schließlich habe man das Angebot um ein Podiumsgespräch ergänzt. Schaper ist in der MAK zuständig für die Fachbereiche christlich-muslimische sowie interreligiöse Begegnung. Zudem fungiert sie als Frauenbeauftragte im Evangelischen Kirchenverband Köln und Region. Auf dem Podium habe es zunächst um „unsere Perspektiven auf das persönliche Erleben“ in Corona-Zeiten und angesichts der Folgen der Juli-Flut gehen sollen: „Was macht das mit uns?“ Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine sei die Fragestellung auf das Erleben von Krisenzeiten überhaupt erweitert worden.

„Tut Dinge, die euch gut tun“

Zunächst jedoch betrat Naiyango die kleine Bühne. „Ich habe die Pandemie mit einem gebrochenen Herzen überstanden“, leitete die Soul-Sängerin und Songwriterin ihren überzeugenden Auftritt ein. Sie wolle ein bisschen von ihrer Reise und über ihre Erfahrungen erzählen. Das tat sie weitgehend musikalisch etwa mit Liedern wie „Who“ und „I am breaking out of our friendzone“. In ihnen ist die Rede von rosigen Anfängen einer sich toxisch entwickelnden Beziehung. Auch von immenser Enttäuschung über unerwiderte Liebe. Zwischen den Stücken berichtete Naiyango von großen Schwierigkeiten auf ihrem künstlerischen Weg. In der Pandemie, in der alles schwierig und unsicher sei, habe sie mutig ihren Traum weiterverfolgt und an einem Album gearbeitet. „Ich wollte stolz auf mich sein.“ Und sie habe gemerkt, dass sie sich selbst Aufmerksamkeit und die notwendige Liebe schenken müsse. „Wenn ihr euch selber gut findet, dann könnt ihr auch andere überzeugen“, riet Naiyango den Zuhörerinnen: „Tut Dinge, die euch gut tun. Arbeitet an euren eigenen Zielen.“

Auf dem Podium berichteten vier Frauen, wie sie die jüngsten Krisenzeiten bislang erlebt haben. Was sie versucht, was sie trotz oder wegen Corona geschafft haben. Was sie bedrückt hat und immer noch tut. Sie verdeutlichten, dass man Krisen überstehen und die Situation danach eine veränderte sein könne. Es ging darum, was eine Corona-Infizierung mit jemandem macht, was eine (unwissentliche) Weitergabe des Virus. Dass eine Medaille nicht nur eine negative, sondern auch positive Seite aufweisen kann. Es ging um die (anhaltende) Trauer über den Verlust eines geliebten Menschen. Darum, wie fürchterlich und extrem anstrengend es sein kann, aufgrund Quarantäne viele Tage „eingesperrt“ zu sein, noch dazu mit jungen Kindern. Darum, einfach nicht mehr zu können und trotzdem „funktionieren zu müssen“.

Gewinn an Erfahrungen

Robelis Mijares, die unter anderem an einer Offenen Ganztagsschule arbeitet, berichtete über ihre intensive künstlerische Beschäftigung mit unterschiedlichen Techniken in den letzten zwei Jahren. Aus der Notsituation Corona habe sie über das Internet andere Künstlerinnen kennengelernt. Man stehe weiterhin in Kontakt und habe nun eine Ausstellung auf die Beine stellen können. Rückblickend empfinde sie die Zeit der Pandemie als ein Geschenk. Mit ihrer Familie habe sie insbesondere Ausflüge in die Natur unternommen, sprach sie von einem großen Gewinn an Erfahrungen. Auch mit Blick auf zusätzliche Krisen: „Ich bin super bestärkt, ich weiß, wie ich reagieren kann, gehe in den Wald, male meine Gefühle.“

Christine Schirrmacher, an der Ausstellung beteiligte Künstlerin aus der Nordeifel, erinnerte, dass sie von klein auf Krisensituationen erlebt habe. Wenn man sich selber liebe, könne man diese nicht nur überstehen, sondern das Positive weitergeben. Dies drücke auch ihre Triologie „Wandel“ mit den Bildern „Pain“, „Power“, „Hope“ aus: „Aus Schmerz kann Kraft erwachsen und Hoffnung für ein besseres Morgen.“ Im August 2019 habe sie entschieden, sich auf die Kunst zu konzentrieren. Dann sei Corona aufgetreten. Doch ihrem Vorsatz blieb sie treu. „Denn ich habe gemerkt, dass ich immer kreativ gewesen bin und bleiben werde“. Nach der Hochwasser-Katastrophe im Juli 2021 mit zahlreichen Toten und großflächigen Zerstörungen habe sie gedacht, „die Farbe in meinen Bildern wäre weg“. Aber die Farbe sei zurückgekommen. Schirrmacher, die achtzig Prozent ihrer Arbeiten an die Fluten verloren hat, stellte fest: „Kunst ist meine Leidenschaft, ist mein Leben.“ „Mit diesem Hintergrund verstehen wir die Bilder auch anders und noch besser“, reagierte Schaper. Es brauche immerzu Selfcare-Arbeit.

„Wir dachten, Corona ist schlimm“, so Schaper. „Als ich die Innenstadt von Bad Münstereifel nach der Flut gesehen habe, dachte ich, das ist was anderes.“ Der Krieg in der Ukraine sei noch einmal etwas ganz anderes… „In der Krise geht etwas kaputt, man sollte schreien, weinen und das viel häufiger sagen“, schilderte ein weiterer Podiumsgast ebenfalls sehr persönliche Erfahrungen. Es habe sie wahnsinnig gemacht, im Radio ständig zu hören: „Wir haben alles unter Kontrolle.“ Wie solle man mit Wut umgehen, die bei der Care-Arbeit neben der Liebe dazukomme, fragte die Mutter von zwei jungen Kindern. Die Frage nach seinem Umgang mit Wut habe der Sohn so beantwortet: „Ich haue auf Kissen.“ Dagegen bereite die Tochter mit Blüten parfümiertes Wutwasser zu, das von einem Sandförmchen in ein anderes und umgekehrt geschüttet werde. Das beruhige tatsächlich, so die Mutter. Sie äußerte die Hoffnung, dass wir in der deutschen Sprache irgendwann ein Verb für alles das haben werden, was Mütter tun – als ein Äquivalent zu mothering im Englischen.

Schaper resümierte, dass es gut sei, Raum zu haben, um seine Geschichte erzählen zu können. Eine Teilnehmerin konstatierte, dass die Krise sichtbar gemacht habe, wie unfassbar stark Frauen seien: „Mütter machen das schon, so die Einstellung. Aber man muss auch anerkennen, wie zerbrechlich sie sind.“ Schließlich fragte Schaper, wie wir es hinbekommen könnten, das Leben in der Krise als schön zu empfinden, ohne die Krise selbst zu leugnen.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich

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