Martin Bock betont die Wichtigkeit des Texts „Israel-Palästina – Leitgedanken und Thesen“

Unter dem Titel „Israel-Palästina – Leitgedanken und Thesen“ haben die fünf evangelischen Landeskirchen an Rhein und Ruhr einen gemeinsamen Text veröffentlicht – das Ergebnis eines intensiven Konsultationsprozesses zwischen den Landeskirchen. Der Text der Evangelischen Kirche im Rheinland, der Evangelischen Landeskirche in Baden, der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, der Evangelischen Kirche der Pfalz und der Evangelischen Kirche von Westfalen soll zur einer konstruktiven Auseinandersetzung mit dem Thema beitragen. „Ich hoffe, dass mit diesem Papier auch ein neuer Anstoß gegeben ist, Polarisierungen und Zuschreibungen innerhalb unserer Kirchen und Gemeinden zu unterlaufen“, sagt Dr. Martin Bock, Pfarrer und Akademieleiter der Melanchthon-Akademie Köln.

„Aus theologisch-kirchlicher Perspektive über Möglichkeiten einer friedlichen Koexistenz von Israel und Palästina nachzudenken ist für uns als Kirche bleibende Aufgabe und innerstes Anliegen zugleich. Jenseits festgefahrener Zuschreibungen und Positionierungen im gesellschaftlichen wie auch im kirchlichen Raum suchen wir eine so weit wie möglich konsentierte Sprache im Diskurs über eines der schwierigsten Konfliktfelder, das Verhältnis zwischen Israel und Palästina sowie unser Verhältnis zu beiden“, so ein Gedanke des Papiers. „Die Erinnerung an die Schoah motiviert dabei unseren Einsatz für die Überwindung von Antisemitismus und theologischem Antijudaismus ebenso wie unser Eintreten für die universalen Menschenrechte.“ Und weiter: „Versöhnung wird nur möglich sein über ein gegenseitiges Anteilnehmen und -geben an den je eigenen Perspektiven und den je anderen Narrativen.“

„Wir hoffen, mit diesem Text eine Grundlage und einen Impuls für eine innerkirchliche Verständigung über die Israel-Palästina-Thematik geschaffen zu haben“, sagte Thorsten Latzel, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, auf ekir.de. Denn auch auf der Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK) in Karlsruhe im Herbst 2022 sei eine Beschäftigung mit dem Thema zu erwarten: „Wir brauchen diese Verständigung, um bei der Vollversammlung in das Gespräch mit dem ÖRK und seinen Mitgliedskirchen zu treten.“

Ein Interview mit Dr. Martin Bock, Pfarrer und Akademieleiter der Melanchthon-Akademie Köln:

Was ist aus Ihrer Sicht wichtig an „Israel-Palästina – Leitgedanken und Thesen“?

Martin Bock: Im christlich-jüdischen Dialog ist das Thema „Israel/Palästina“ ein besonders sensibles. Unsere jüdischen Mitbürger und Mitbürgerinnen erwarten zu Recht von uns Christen gerade jetzt, dass wir auch dem israelbezogenen, also dem sich politisch äußernden Antisemitismus deutlich entgegentreten. Dazu ein Argumentationsfeld zu öffnen, ist nach meiner Einschätzung ein wichtiges Ziel dieses Textes, der von fünf evangelischen Landeskirchen entworfen ist, die sich alle seit über 40 Jahren im christlich-jüdischen Dialog und auch in „Israel-Palästina“-Dialogen engagieren!

Was ist Ihre Hoffnung?

Martin Bock: Ich hoffe, dass mit diesem Papier auch ein neuer Anstoß gegeben ist, Polarisierungen und Zuschreibungen innerhalb unserer Kirchen und Gemeinden zu unterlaufen. Denn es kann aus unserem Glauben und in unserer politischen Haltung als Bürger und Bürgerinnen nicht sein, dass eine Schein-Alternative zwischen „Israelfreunden“ und „Palästinafreunden“ suggeriert wird. Nach der Shoa geht es für Christen, gleichwelcher Konfession und Herkunft, ohne jede Alternative um eine „Umkehr und Erneuerung“ des Christentums, wie es der rheinische Synodalbeschluss von 1980 sagt, um eine radikale Neubestimmung des Verhältnisses zum Judentum. Diese Neubestimmung muss aber weiter fortgeschrieben werden und engagiert in die politischen und ökumenischen Diskurse eingebracht werden. Wenn das Papier dazu – wie dies innerhalb der rheinischen Kirche schon seit den 90er Jahren immer wieder geschieht –  einen weiteren Impuls gibt, freue ich mich. Ein Baustein dieser Fortschreibung ist, zu sehen, dass die arabischen Christen und Kirchen inzwischen ihren Beitrag zu diesem Gespräch deutlich eingebracht haben und von uns gehört werden wollen. Sie haben eine andere Lernsituation als wir Europäer und Europäerinnen, sie haben ihren eigenen Ort im Land Israel/Palästina selbst. Uns verbindet aber die gemeinchristliche Israelvergessenheit, die wir unserem je eigenen Ort überwinden müssen. Darüber muss im Herbst in Karlsruhe und auch wieder mehr in unseren Gemeinden gesprochen werden.

Was bedeutet das für uns hier in Köln?

Martin Bock: Die lang gewachsene Arbeit der Kirchen am Thema „Israel/Palästina“ ist auch in der Stadtgesellschaft nicht mehr so präsent. Deshalb halte ich es für wichtig, mit diesem Positionspapier deutlich zu machen, dass die evangelischen Kirchen in einer großen Geschlossenheit an diesen Fragen dran sind: Die Leitgedanken „Woher wir kommen – woran wir festhalten – was wir kritisch sehen – wofür wir eintreten“ helfen, diese Positionierung einzubringen und darüber ins Gespräch zu kommen, zum Beispiel in der Kölnischen Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, aber auch gegenüber den jüdischen Gemeinden, den zivilgesellschaftlichen Friedensinitiativen, den Städtepartnerschaftsvereinen Köln-Bethlehem und Köln-Tel Aviv. Menschen auch mit christlichem Background haben in den letzten Jahrzehnten maßgeblich dazu beigetragen, dass in diesem zivilgesellschaftlichen Feld so viele Kölner und Kölnerinnen zu einer sehr lebendigen Beziehung zu Israel und Palästina gefunden haben.

Was vermissen Sie hierbei?

Martin Bock:  Was man bei diesem auf Ausgleich, auf Konsens bedachten Text vielleicht vermissen kann, ist ein ganz deutliches Bekenntnis, ein „Nein ohne jedes Ja“ zu einem Antisemitismus, wie er sich gegenwärtig global ausbreitet und viele Diskurse vergiftet. Hier haben auch die Kirchen keine weiße Weste. Wie sollte dies auch sein, wenn es stimmt, dass Antisemitismus sich auch und vor allem in der Mitte der Gesellschaft wiederfindet. Da hätte ein genaueres Hinsehen gut getan: In welcher Weise und aus welchen Quellen christlichen Gedankengutes vertreten Christenmenschen Anschauungen, die den Staat Israel im Grundsatz angreifen und delegitimieren, die doppelte Standards für Israel/Palästina einführen usw.? Aus meiner Mitarbeit in zivilgesellschaftlichen Gruppen wie der Kölnischen Gesellschaft lerne ich dies: Erst wenn wir unsere christliche Israelvergessenheit deutlich vor Augen haben und wir daraus lernen wollen, werden wir zu interessanten empathischen Gesprächspartnern in der bunten Stadtgesellschaft. Vor diesem Hintergrund kann ich einen markanten Satz des Papiers nur unterstreichen: „Versöhnung beginnt mit der Bereitschaft, sich einzulassen auf die Empfindungen, auf die Verlust- und Leidensgeschichten, aber auch die Hoffnungsgeschichten der jeweils anderen“.

Den Text finden Sie hier: „Israel-Palästina – Leitgedanken und Thesen“

Text: APK
Foto(s): APK

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