Menschen mit Demenz begleiten: Die Bedeutung von spiritueller Arbeit und Sinneserfahrungen
In Deutschland leben nach jüngsten epidemiologischen Schätzungen rund 1,6 Millionen Menschen mit Demenz. Durchschnittlich treten pro Tag etwa 900 Neuerkrankungen auf, sie summieren sich im Jahr auf mehr als 300.00. Etwa 80 Prozent der Demenzerkrankungen werden durch neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer hervorgerufen. Jugendreferentin Siggi Schneider spricht mit Stefan Jansen-Haß, Pfarrer der Evangelischen Kirche Brühl, über seine Arbeit mit demenziell veränderten Menschen. Er betreut eine Demenz-WG im Ortsteil Vochem, beide Häuser des Johannesstifts in Brühl mit einem eigenen Demenz-Wohnbereich sowie die Alzheimer-Gesellschaft AUFWIND in Brühl:
Demenz bedeutet den Verlust von Kontrolle, Vernunft und Autonomie – und das bei vollem Bewusstsein. Der Verlust der Persönlichkeit löst große Ängste bei den meisten Menschen aus. Doch von dieser Angst spricht Jansen-Haß nicht. Ihn nimmt es mit, wenn demenziell veränderte Menschen immer wieder und wieder neu um längst verstorbene Partner trauern, den Verlust der Liebe immer wieder neu durchleiden, immer wieder verzweifeln und weinen. Denn während die kognitiven Fähigkeiten der Betroffenen kontinuierlich abnehmen, bleiben Gefühle und Gefühlserfahrungen bestehen. Für die spirituelle Arbeit mit den Betroffenen bedeutet dies aber auch Positives. Religiöse Symbole, Texte, Lieder und Abendmahlsfeiern lösen im Wiedererkennen gute Gefühle aus: Geborgenheit in der Verlorenheit, Nähe in Verlassenheit, Zuversicht im Haltlosen.
Gemeinsame Sinneserfahrungen wie Singen oder duftende Blumen
Jansen-Haß feiert Gottesdienste mit demenziell veränderten Menschen etwas anders. Es beginnt damit, dass er sich im Beisein der Gottesdienstbesucher den Talar anzieht, Erläuterungen dazu gibt (unterhaltsamer Aspekt: Jeder Talar hat 10 Knöpfe, stellvertretend für die 10 Gebote, die man beim Anziehen aufsagt) und leicht verständlich mit einer eigenen Liturgie durch den Gottesdienst führt. Er fasst sich bei der Predigt kurz, gibt Gegenstände herum, die mit dem Gottesdienstthema zu tun haben, um es besser be“greifbar“ zu machen.
Bei Besuchen und Gesprächen ist es Jansen-Haß wichtig, dass die Betroffenen ihn mit in ihre eigene Welt nehmen und dass so für diesen Moment Zuwendung und Zärtlichkeit erlebbar und spürbar werden, anstelle des Drucks „funktionieren zu müssen“. Und auch in diesen Gesprächen steht die verbale Kommunikation nicht an erster Stelle, sondern gemeinsame Sinneserfahrungen wie Singen, Berührungen und die Erfahrung des Gehalten-Werdens, duftende Blumen, ein buntes Bild und eine gemeinsame Tasse Kaffee. Das Erleben von Anerkennung, von Zuwendung und „Dazugehörigkeit“ führt dazu, dass es den Menschen möglich sein kann, über ihre eigenen Gefühle und Erlebnisse aus der Vergangenheit zu sprechen – vielleicht zum allerersten Mal.
Ausschnitt aus der Liturgie: Psalm in leichter Sprache, z.B. Psalm 103
Das ist ein Lied von König David: Lobe Gott, meine Seele! Alles in mir soll Gott loben! Erinnere dich immer wieder daran! So viel Gutes hat Gott für dich getan! Du lebst anders als Gott es will. Du machst Fehler. Aber Gott vergibt dir! Du wirst manchmal krank. Aber Gott heilt dich! Du denkst: Dein Leben ist sinnlos. Doch Gott rettet dich! Der Herr vergibt dir. Er kümmert sich um dich. Er schmückt dich mit seiner Liebe. Wie eine Krone den König schmückt. Da freust du dich und lachst. Du hast Kraft wie ein junger Adler. Gott kümmert sich um Menschen, die leiden. Er hilft ihnen. Gott hat viel Geduld. Er liebt sie sehr. Wir leben manchmal falsch. Aber Gott vergibt uns! Nur für kurze Zeit ist er wütend. Aber seine Liebe ist unendlich. Der Himmel über der Erde ist groß. Genauso groß ist Gottes Liebe. Er liebt alle Menschen. Zwischen Morgen und Abend ist eine lange Zeit. Am Morgen schon machen wir Fehler. Doch Gott hat sie am Abend schon lange vergeben. Eltern kümmern sich um ihre Kinder. Genauso kümmert sich Gott um alle Menschen. Lobe Gott, meine Seele!
Text: Siggi Schneider
Foto(s): Oliver Rindelaub
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