„Brückenbauer*innen“ begleiten seit einem Jahr pflegebedürftige und schwerstkranke Menschen mit Zuwanderungsgeschichte

„Stellen Sie sich vor, Sie sind in China und müssen dort zu einem Arzt“, so beschreibt Daham Abdulghani die Situation, in der sich Migranten und Migrantinnen in Köln befinden, die das deutsche Gesundheitssystem nicht kennen. Abdulgahni floh vor sechs Jahren aus Syrien und kann die Probleme nachempfinden, ebenso wie seine Kollegin Etleva Zela: „Es geht Dir wie einem Fisch ohne Wasser.“ Die beiden arbeiten seit genau einem Jahr im Modellprojekt „Brückenbauer*innen Palliative Care“. Dieses erste Jahr der praktischen Phase war Anlass für einen Fachtag im Haus der Evangelischen Kirche, zu dem das Diakonische Werk Köln und Region eingeladen hatte. Mehr als hundert Gäste nahmen teil, dazu weitere 30 online im Livestream.

Vertrauen schaffen

Seit Februar 2022 begleiten acht „Brückenbauer*innen“ in Köln pflegebedürftige und schwerstkranke Menschen mit Zuwanderungsgeschichte und deren Familien als Sprach- und Kulturmittler und -innen, zum Beispiel bei Arztbesuchen und im Krankenhaus. Sie sprechen insgesamt 12 Sprachen. „Ihre Lotsenfunktion ist wichtig, um Vertrauen zu schaffen und kulturelle Hürden zu überwinden“, betonte Paul Zubeil in seinem Grußwort. Zubeil leitet die Unterabteilung für europäische und internationale Angelegenheiten im Bundesministerium für Gesundheit, das das Modellprojekt finanziert. Als „sehr innovativ“ lobte er die Zusammenarbeit von Berlin und Köln. Im Diakonischen Werk Berlin startete vor einigen Jahren bereits ein ähnliches Modellprojekt mit dem Schwerpunkt Pflege. Dann kam aus Berlin die Anfrage an das Diakonische Werk Köln und Region, in beiden Städten das Projekt „Palliativ Care“ ins Leben zu rufen.

Diakonisches Werk ist bunter geworden

„Berlin und Köln, das passt“, sagte Jörg Zeyßig in seiner Begrüßung. Dabei verwies der Geschäftsführer des Diakonischen Werkes auch auf den BAP-Song „Nippes, Ihrefeld un Kreuzberg“ aus den 1980er Jahren. „Vielleicht hätte noch die eine oder andere Ruhrgebietsstadt gepasst, aber diese beiden Städte sind schon die Hochburgen migrantischen Lebens in Deutschland.“ Das Diakonische Werk sei durch das Projekt bunter geworden. Er freue sich über „die inzwischen eingetretene Normalität, über die Bereicherung durch andere Kulturen und die damit verbundene Herausforderung, die eigenen Blickwinkel immer wieder in Frage zu stellen und anzupassen.“

Zudem sei das Projekt auch eine Chance für die Brückenbauer*innen selbst, denn sie leisten ihre Arbeit nicht ehrenamtlich, sondern in einem tarifgebundenen Beschäftigungsverhältnis. Zuvor haben sie einen fünfmonatigen Qualifikationsprozess absolviert und besuchen auch weiterhin Schulungen, zum Beispiel zu medizinischen Fachbegriffen, um die nötige Sicherheit für die Gespräche mit Klienten und Klientinnen und Fachpersonal zu gewährleisten. „Die vermittelten Fähigkeiten sind auch für den ersten Arbeitsmarkt von Interesse“, so Zeyßig. Wünschenswert wäre zu prüfen, „ob nicht auch eine Anerkennung in einem bestehenden Berufsbild möglich wäre.“

Die Brückenbauer*innen aus Köln und Berlin kamen anlässlich des Fachtages das erste Mal zusammen. Alle haben eine persönliche Migrationsgeschichte und viele haben negative Erfahrungen gemacht, wenn eigene Angehörige krank wurden oder im Sterben lagen. „Wie wir als Gesellschaft Sterbende begleiten, ist in den verschiedenen Kulturen unterschiedlich ausgeprägt“, sagte Sozialdezernent Dr. Harald Rau in seinem digitalen Grußwort. Es sei gut, dass es hier jetzt Hilfe von der Diakonie gebe und eine Anschubfinanzierung durch das Bundesministerium. In Berlin werde das Vorläuferprojekt in der Pflege mittlerweile vom Senat finanziert, erläuterte Ralf Nordhauß, Geschäftsführer des Diakonischen Werkes Berlin. Auf die Frage, ob eine Weiterfinanzierung auch durch die Stadt Köln denkbar wäre, wollte sich Bettina Baum, Leiterin des Amtes für Integration und Vielfalt, nicht festlegen. Allerdings könne sie sich nicht vorstellen, „wie das System weiterlaufen soll ohne diese Arbeit.“

Jeden Tag Anrufe von Menschen, die mitarbeiten wollen

Im ersten Jahr haben die Brückenbauer*innen in Köln mit vier Vollzeitstellen mehr als 300 Menschen aus 25 verschiedenen Herkunftsländern begleitet. Ein Drittel benötigte Unterstützung in arabischer Sprache, ein Viertel in russischer Sprache, was an der Begleitung von Geflüchteten aus der Ukraine liegt. „Wir könnten noch viel mehr Sprachen gebrauchen, vor allem auch türkisch“, sagte Claudia Lautner, die das Projekt in Köln leitet. Jeden Tag erhalte sie Anrufe von Menschen, die auch als Brückenbauer*in arbeiten wollten. Für weitere Stellen müsse aber die Finanzierung ausgeweitet werden. Selbst überrascht war Claudia Lautner davon, dass auch viele Familien mit jungen Erkrankten und Sterbenden um Hilfe bitten. Im ersten Jahr waren 20 % noch keine 18 Jahre alt, 27 % waren älter als 60. „In jeder Lebensphase Brücken bauen“ so übersetzte die Berliner Projektleiterin Nazife Sari die türkische Unterzeile auf der Einladung zum Fachtag. Und Brücken bauen müssten alle am Projekt Beteiligten.

Viele Redewendungen sind missverständlich

Wie unterschiedlich die kulturellen Ausprägungen gerade bei den Themen Krankheit und Sterben sind, machte Professor Dr. Hacı Halil Uslucan von der Universität Duisburg-Essen deutlich. Er sprach über das „Gesundheits- und Krankheitsverständnis im kulturellen Kontext – Was bedeutet der böse Blick? Ich küsse deine Augen!“. Redewendungen wie „Da haben Sie aber Schwein gehabt“ seien sehr missverständlich. Die sehr direkte Kommunikation mancher Ärzte westlicher Prägung irritiere viele, da in anderen Kulturen „eher um den heißen Brei herumgeredet wird, auch um den Menschen zu schützen.“

Für eine interkulturelle Kompetenz brauche es daher das Wissen über Kulturen, eine empathische Haltung und die Offenheit, Diversität zu leben. Die reine Übersetzung reiche oft nicht, bestätigte Dr. Ferya Banaz-Yaşar vom ambulanten Hospizdienst am Universitätsklinikum Essen. Sie gab Einblicke in die „Kultursensible Hospizarbeit“, wo ehren- und hauptamtliche Mitarbeitende Sterbende mit internationaler Biographie begleiten. Vor allem medizinische Begriffe müssten oft ausführlich erklärt werden. Es handele sich weniger um eine Sprachbarriere als um eine Kommunikationsbarriere. „Der Tod ist immer schmerzhaft, egal in welcher Kultur oder Religion, das ist das Verbindende in der Hospizarbeit.“

„Jeder Mensch hat ein Recht auf Würde“

Von Irritationen in der Kommunikation berichtete auch Fatih Çevikkollu in seinem kabarettistischen Impuls: Als geborener Kölner machte er Mut, stolz zu sein auf eine „internationale Biographie“. Den Begriff „Migrationshintergrund“ lehne er ab, „das klingt nach einer Diagnose“. Mit Blick auf die erste Generation der Menschen, die nach Köln einwanderten und alle nachfolgenden Generationen forderte er: „Dankbar war gestern, heute ist Teilhabe“. Daran knüpfte der Berliner Brückenbauer Muhannad Abulatifeh mit seinem Statement an: „Jeder Mensch hat ein Recht auf Würde, gerade auch in der letzten Phase seines Lebens.“

Mehr Infos zum Modellprojekt unter www.brueckenbauerinnen.de

Text: Martina Schönhals
Foto(s): WSW-Media Filmproduktion“ www.wsw-media.de

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Kirche2go fragt: was bedeutet das Wort „heilig“?

Kirche2go fragt: Was bedeutet das Wort „heilig“? Das Wort „heilig“ stammt von dem altdeutschen Wort „helgen“ ab und bedeutet so viel wie „zueigen“ oder auch „zugehörig“. Wenn etwas heilig ist, dann meinen wir damit etwas, das zu Gott gehört. Wer in der evangelischen Kirche zu der Gemeinschaft der Heiligen gehört, erfahren Sie in diesem Video.

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Der gesamte Text zum Nachlesen: Kirche2go fragt: Was bedeutet das Wort „heilig“? Das Wort „heilig“ stammt von dem altdeutschen Wort „helgen“ ab und bedeutet so viel wie „zueigen“ oder auch „zugehörig“. Das Wort bezeichnete einen abgegrenzten Bereich, wie zum Beispiel den inneren Bereich des Tempels in Jerusalem in der Zeit des Alten Testamentes. Hier hatten nur Priester oder Gläubige Zugang. Wenn etwas heilig ist, dann meinen wir damit etwas, das zu Gott gehört. Geistliche, Märtyrer und Menschen, die ein vorbildliches Leben geführt oder Wunder gewirkt haben, wurden in der Geschichte der Kirche häufig „heiliggesprochen“. Sie nahmen in der Vorstellung der Menschen auch eine Vermittlerrolle zu Gott ein. In der evangelischen Kirche gehören alle Christinnen und Christen, die an Gott glauben, zur Gemeinschaft der Heiligen. Aus der Sicht von Martin Luther gibt es keinen anderen Mittler zwischen Gott und den Menschen als Jesus Christus. Luther sprach sich gegen die Anrufung von Heiligen aus. Für ihn waren sie vielmehr Vorbilder im Glauben. An ihren können sich Christinnen und Christen aus seiner Sicht ein Vorbild nehmen. So ist aus evangelischer Sicht nur Gott heilig und das, was zu ihm gehört. Er ist heilig und damit ganz anders als alles, was Menschen in dieser Welt kennen. In Jesus Christus ist Gott auf die Erde gekommen und hat die Distanz zwischen sich und den Menschen überwunden. Durch ihn haben die Menschen ihren Anteil an Gottes Heiligkeit erhalten. Der Heilige Geist verbindet sie in ihrem Leben mit Gott. Alle Menschen, die an Jesus Christus glauben, sind so Teil der „Gemeinschaft der Heiligen“.

Text: APK
Foto(s): APK

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„Geliebt. Versöhnt. Vereint?!“: Ökumenischer ACK-Neujahrsgottesdienst

Die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen Köln (ACK) hat einen ökumenischen Gottesdienst mit anschließendem Neujahrsempfang veranstaltet. Unter dem Motto „Geliebt. Versöhnt. Vereint?!“ kamen Besucher am letzten Sonntag im Januar in der „Friedenskirche Baptisten mitten in Köln“ zusammen und erfreuten sich auch an der musikalischen Gestaltung durch Sängerin und Songschreiberin Yasmina Hunzinger, die vor mehreren Jahren am Gesangs-Wettbewerb „The voice of Germany“ teilgenommen hatte. Der Gottesdienst stand ganz im Zeichen der Weltversammlung der christlichen Kirchen, die im vergangenen Jahr in Karlsruhe stattfand. Zum Abschluss seiner aktiven ökumenischen Zeit in Köln hielt Erzpriester Radu Constantin Miron, seit 2019 Vorsitzender der ACK Deutschland, die Predigt.

In Vertretung von Pfarrer Heino Wesemann begrüßte Hans Hilsberg die Anwesenden der ACK-Kirchen, darunter etwa der katholischen Kirchen, der evangelischen Landeskirche oder der orthodoxen Kirche, sowie die Vorsitzende der ACK Köln, Pfarrerin Susanne Beuth. „Ich freue mich, dass wir auch das Ökumenekreuz in unserer Mitte haben. Es symbolisiert die Verbundenheit und Einheit zwischen den Kirchen als Jesus Christus im Mittelpunkt. Ohne diesen Mittelpunkt gibt es keine wahre Ökumene“, betonte er.

„Ökumene ist immer multilateral“

Susanne Beuth griff in ihren einleitenden Worten sogleich das Thema des Gottesdienstes auf. „Hinter uns liegt das Jahr, dessen ökumenischer Höhepunkt die Weltversammlung des ökumenischen Rates der Kirchen in Deutschland war. Wir blicken zurück, fragen aber als ACK Köln auch, was die Versammlung für uns bedeutet.“ Besonders freute sie sich über die Anwesenheit Mirons. „Er war jahrzehntelang ein Motor der Ökumene in Köln, hat sich nun als Mitglied unseres lokalen ACK indes verabschiedet. Da er den Gemeindedienst beendet hat, vertritt er auch nicht mehr die griechisch-orthodoxe Kirche bei uns. Daher wollen wir uns heute für sein Engagement bei ihm bedanken.“

Anschließend schufen verschiedene Beteiligte mit dem Vortrag diverser Originaltöne von Teilnehmern der Weltversammlung sowie ein Gebet, in Anlehnung an Worte des seinerzeitigen Eröffnungsgottesdienstes, den Übergang zu einem Filmbeitrag, der in Interviewausschnitten einen Eindruck von der letztjährigen Atmosphäre in der badischen Stadt vermittelte. Schließlich ergriff Erzpriester Miron mit seiner Predigt das Wort und erläuterte mögliche Konsequenzen aus der internationalen Zusammenkunft, bei der Wert darauf gelegt wurde, dass neben den gastgebenden Kirchen auch der ACK Deutschland die Inhalte mitgestaltete. „Eine erste Antwort auf die Frage ´Und jetzt?´ könnte die Erkenntnis sein, dass das christliche Zeugnis in unserem Land und darüber hinaus nur ökumenisch glaubhaft sein wird. Das sollte indes fast überall angekommen sein, denn Ökumene ist immer multilateral“, führte der 66-Jährige aus und erinnerte an eine lange zurückliegende Begebenheit. „Ich wurde mal von einem Mitbruder mit den Worten empfangen: ´Schön, dass Sie hier sind, Pfarrer Miron. Aber eins müssen Sie wissen: Als Orthodoxer sind Sie nur Zaungast in der Ökumene. Die heißt in Köln katholisch oder evangelisch.´ Inzwischen sind wir zum Glück weitergekommen.“

Kultur des Fragens

Im Folgenden erörterte er „weitere Eckpunkte für die Road map unseres Pilgerweges“ im nächsten Jahr. „Ökumene ist ein konstitutiver Teil unserer Identität als Christen. Ich wehre mich, Ökumene nur als Reaktion auf tatsächliche oder vermeintliche Missstände zu definieren, im Sinne vom Zusammenhalten gegen diverse Bedrohungen.“ Ökumene sei zudem immer lokal und temporal verschieden und betreffe stets alle Ebenen der Kirche. „Was nützt es, wenn sich Papst und Patriarch gut verstehen, die Nachbar-Pfarrer im Veedel sich aber nicht kennen oder gar aus dem Weg gehen?“ Ausgehend von solchen Eckpunkten stellte Miron fest, dass Ökumene immer bedeuten müsse, Fragen zu stellen: „Was sind denn alle unsere ökumenischen Dialoge anderes als gestellte und beantwortete Fragen? Ich appelliere daher für eine Kultur des Fragens, die auch daher rührt, dass das Fragen stellen in der Ökumene immer auch zu einem Mehrwert an Kenntnis über den anderen und die eigene Identität beiträgt. Fragen nach dem kirchlichen ´Wo bist du?´ sind Fragen nach dem Status quo, nach dem Ziel und der Route in den jeweiligen Glaubensgemeinden.“

Miron versuchte schließlich, als Fazit eine mögliche Richtung bei der Frage, wie es nach Karlsruhe weitergehen soll, vorzugeben. „Es geht nicht um Fragen der Ökumene, sondern um die Ökumene des Fragens. Es gilt nicht mehr, die Menschen dort abzuholen, wo sie sind. Ich glaube, in der Ökumene gilt nach Karlsruhe mehr denn je, die Kirchen und Konfessionen dort abzuholen, wo sie sind.“

Text: Holger Hoeck
Foto(s): Holger Hoeck

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Gedenkstunde am Löwenbrunnen: Erinnerung an die aus Köln deportierten und ermordeten Kinder

Ein gemeinsames wichtiges Zeichen gegen Hass, Antisemitismus, Rassismus und jede Form von Diskriminierung und Ausgrenzung – das ist die jährliche Veranstaltung am Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust an der Kindergedenkstätte Löwenbrunnen in der Kölner City. Vertretende der Synagogen-Gemeinde Köln, der Stadt Köln, des Katholischen Stadtdekanates und des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region in Verbindung mit dem Arbeitskreis „Lern- und Gedenkort Jawne“ gedachten mit zahlreichen Schülern und Schülerinnen insbesondere der aus Köln deportierten und ermordeten jüdischen Kinder. Ebenso erinnere man an jüdische Menschen, denen die Flucht aus ihrer Heimatstadt vor nationalsozialistischer Verfolgung etwa nach Palästina und England gelungen ist.

„Ihr seid der Grund, weshalb wir alle hier sind“, richtete sich Pfarrerin Ulrike Gebhardt in ihrer Begrüßung auch an Schüler und Schülerinnen aus Köln und Hennef. Sie trugen Biografien jüdischer Kölnerinnen und Kölner vor, beeindruckten mit einem eigens verfassten Gedicht und Viertklässler und Viertklässlerinnen der Olympia-Schule interpretierten das Friedenslied „Hevenu Shalom Alechem“. Gebhardt sprach ihren großen Dank an die Ausrichtenden und Teilnehmenden aus – Dank auch für die regelmäßige inhaltliche Unterstützung der Stadt. Sie begrüßte unter anderem Jakub Wawrzyniak, den polnischen Generalkonsul in Köln sowie Christina Zimmermann vom Katholischen Schulreferat Köln. „Uns ist es wichtig, dass die Arbeit mit Schüler und Schülerinnen ökumenisch weitergeht“, betonte Gebhardt.

Mit der von Dieter und Irene Corbach initiierten Gedenkstätte auf dem Erich-Klibansky-Platz an der Helenenstraße wird namentlich der über 1.100 deportierten und ermordeten jüdischen Kinder und Jugendlichen aus Köln und Umgebung gedacht. Der achteckige Brunnen steht in unmittelbarer Nähe zum ehemaligen Areal des einstigen jüdischen Reform-Realgymnasium Jawne und der Synagoge der orthodoxen Gemeinde in Köln. Dort befand sich ein Zentrum jüdischen Lebens und Lernens.

„Warum sind wir hier?“, fragte eingangs Pfarrer Bernhard Seiger. Der Stadtsuperintendent des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region gab selbst die Antwort: „Wir sind hier am Gedenktag der Befreiung von Auschwitz vor 78 Jahren. Wir sind hier am Löwenbrunnen, weil das ein Ort ist, an dem wir das Geschehen von damals spüren können.“ Hier habe eine jüdische Schule gestanden, deren Schüler hier nicht haben bleiben dürfen, weil jüdische Menschen im „Dritten Reich“ nicht gewollt gewesen seien. Jesus, der ja Rabbi gewesen sei, habe vor 2000 Jahren mit Menschen Gespräche geführt. „Ich habe gelernt“, so Seiger: „Er stellte manchmal dieselbe Frage zweimal. So sind sie auf dem Weg und er fragt seine Leute: Worüber sprecht ihr? Und dann noch einmal. Worüber sprecht ihr? Und dann sagen sie, was sie bewegt.“

Wer nachfrage, wolle wirklich verstehen

„Beim zweiten Mal denkt man noch einmal genauer nach“, nannte es Seiger „die Chance der zweiten Frage.“ Wer nachfrage, wolle wirklich verstehen, wolle hinhören. „Wenn wir dieselbe Frage zweimal stellen, dann halten wir inne und gehen nicht einfach weiter und bleiben an der Oberfläche.“ Jesus sei ein Meister der Entschleunigung und des Innehaltens, wie die Rabbinen und wie viele religiösen Lehrer, sagte Seiger und erklärte: „Das heißt: jeder Frage eine zweite Chance geben. Also nicht zu schnell verstehen wollen, damit wir wieder zum Alltag kommen und das Schwierige hinter uns lassen.“

Und so fragte auch Seiger ein zweites Mal: „Warum sind wir hier? Weil dieser Tag aus guten Gründen in unseren Kalendern steht. Weil wir neu lernen wollen. Wie lesen Schülerinnen und Schüler, wie lest Ihr das, was hier geschah? Was nehmen Schülerinnen und Schüler aus Israel wahr?“, wandte Seiger sich in englischer Sprache an Jugendliche vom israelischen Bildungszentrum HaKfar HaYarok. Sie weilten im Rahmen eines deutsch-israelischen Austauschs in Köln und nahmen mit Schüler und Schülerinnen des Gymnasiums Kreuzgasse an der Veranstaltung teil. „Antisemitismus lauert an vielen Ecken, dagegen wehren wir uns“, formulierte Seiger eine Botschaft für heute. Und wir würden ihn benennen, verwies er auf das im Mai geplante Konzert des ehemaligen Pink Floyd-Mitglieds Roger Waters in Köln. Dessen „Worte und Bilder“ seien antisemitisch und verletzten heute jüdische Menschen in ihrer Würde. „Wir werden als Kirchen kritisch darauf hinweisen, dass wir das Konzert sehr problematisch finden.“

„Warum sind wir hier?“, fragte Seiger abermals. „Weil wir zeigen wollen: Anders als 1938 und 1942, als die Schule der Jawne geschlossen wurde, schweigen wir nicht.“ Im Gegenteil – wir, die Stadt Köln, die christlichen Kirchen und die Synagogengemeinden, der 1.FC Köln und Karneval und viele mehr stünden zusammen. „Wir freuen uns über jüdisches Leben in unserer Stadt und Menschen, die ihren jüdischen Glauben offen und gerne leben. Wir lassen uns nicht mehr auseinanderbringen!“ Seiger dankte den Initiatoren und Initiatorinnen der Gedenkstunde und den anwesenden Schülern und Schülerinnen für ihre Beiträge: „Erzählen hilft, klarer zu sehen. Erzählen hilft, zu spüren, was wichtig ist. Erzählen schärft das Gewissen.“

Wichtig, den Holocaust nicht zu vergessen

„Ich freue mich, dass wieder so viele junge Menschen hier sind“, grüßte Bürgermeister Andreas Wolter (Grüne) für den Rat der Stadt Köln. Es sei wichtig, den Holocaust nicht zu vergessen. Jeder Mensch habe Rechte und die Freiheit, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Das sei damals nicht selbstverständlich gewesen.

Schüler und Schülerinnen des Städtischen Gymnasiums Hennef informierten über den Kölner Jonas Königshöfer (1920 – 2015). Der ehemalige Jawne-Schüler konnte sich wenige Tage nach Kriegsbeginn 1939 nach Palästina retten, wo er den Namen Jona Hatsor annahm. Auch seine vier Geschwister überlebten „den Krieg und die Shoah“. Die Eltern wurden in Auschwitz-Birkenau ermordet. Ein Oberstufenkurs des Gymnasiums Schaurtestraße berichtete von Ilse Buttenwieser  (1913 – 2012), die 1937 mit ihrem Mann in die USA flüchten konnte. „Den Glauben, dass Menschen eigentlich gut sind“, habe sie nie verloren. „Toleranz war ihr und ihrer Familie immer wichtig. Das finden wir beeindruckend“, leiteten die Jugendlichen ein eingespieltes Tondokument eines Interviews mit Buttenwieser ein. Gymnasiasten und Gymnasiastinnen aus Köln-Rodenkirchen erzählten von den Schicksalen zweier weiterer Geretteter.

Gedicht „Erinnerung & Gedenken“

Die 17-jährige Felicitas Graunke, Schülerin des Rodenkirchener Gymnasium beendete den Beitrag mit ihrem Gedicht „Erinnerung & Gedenken“: „Kristall. Ich denke an Schmuck, an Schönheit, an Glanz, an das gläserne Glitzern bei Lichteinfall, an rätselhafte, doch zugleich unverkennbare Brillanz. / Kristallnacht. Ich denke an den vollen Mond, der sich spiegelt im Rhein, an die goldenen Sterne die den Himmel schmücken in all ihrer Pracht, an stille Einkehr beim Anblick des Wassers blässlichen Scheins. / Reichskristallnacht. Kein Glanz, keine Pracht, kein Licht. Nur das Geräusch wie es knallt, klirrt und kracht, während ein weiteres Stück Hoffnung in sich zusammenbricht. / Sie sehen keinen Schmuck. Sie sehen Scherben. Zerstörung, wohin man auch guckt. Und doch nur der Anfang von dem, was sie erleiden werden.“

„Es ist beeindruckend, wie Ihr Einzelschicksale behandelt habt“, wandte sich Abraham Lehrer, Vorstand der Synagogen-Gemeinde Köln, an die Schüler und Schülerinnen. Er bezeichnete die Gedenkarbeit als etwas sehr wichtiges. „Für die Zeit von 1933 bis 1945 tragt ihr keine Schuld. Aber ihr gehört zu dieser Gesellschaft“, ermutigte Lehrer, gegen Mobbing und Ausgrenzung aufzustehen. „Ob in der Schule oder in der Freizeit, wenn euch so etwas begegnet, widersprecht. Ihr müsst euch nicht in Gefahr begeben“, sagte Lehrer, „aber wo nötig und möglich, widersprecht. Ihr Größeren, zeigt Zivilcourage, weist die anderen in die Schranken“, bat er. Ganz wichtig für Verständigung sei der Austausch zwischen jungen Menschen in Deutschland und Israel.

„Es gibt nichts, dass die Nachkriegszeit Israels besser darstellt, als die Tatsache, dass wir eine israelische Jugend haben“, hob Rabbiner Yechiel Brukner von der Synagogen-Gemeinde Köln hervor. Zuvor hatte auch er sich an die israelischen Gäste gewandt. „Schaut, wie viele Kinder von den Menschen entstanden sind, die damals nach Palästina gegangen sind.“ Antisemitismus und Verehrung nationalsozialistischen Gedankengutes seien leider nicht vergangen. „Wir sollten wissen, das ist da, jetzt“, warnte er. Viele von den jüdischen Menschen, die damals in Deutschland geblieben seien, weil sie gedacht hätten, es gehe vorbei, hätten sich geirrt. Die Schüler und Schülerinnen nannte er Botschafter und Botschafterinnen. „Jede und jeder von Euch muss hunderte Menschen informieren über das Geschehene“, wünschte er ihnen dabei von ganzem Herzen viel Erfolg.

„Niemals dürfen wir schweigen“

Dass sich junge Menschen mit diesem schwierigen Thema beschäftigten, sei wichtig, aber nicht selbstverständlich, würdigte Christina Zimmermann das Engagement der Schüler und Schülerinnen. Dabei berühre die Beschäftigung mit Einzelschicksalen sehr. „Ihr habt gezeigt, dass euch das wichtig ist an diesem Tag“, bekundete auch der evangelische Schulreferent Rainer Lemaire den Jugendlichen seinen Dank. Nachdem Mordechay Tauber, Kantor der Synagogen-Gemeinde Köln, Psalm 110 und das „El Male Rachamin“ („Gott voller Erbarmen“) vorgetragen hatte, zeigte sich Gebhardt dankbar darüber, „dass in unserem Land auch in Hebräisch gebetet wird“. Und sie dankte Brukner, „dass Sie uns ermutigen, laut zu werden“. In seinem Schlussgebet bat der Kölner Stadtdechant Monsignore Robert Kleine, „dass wir unsere Erinnerung wachhalten und sie Motivation für unser Handeln ist. Wir lernen am 27. Januar: Verzeihung entwaffnet Hass.“ Auch wenn Anklage menschlichen Verhaltens unangenehmer sei als Schweigen, so Kleine: „Niemals dürfen wir schweigen.“

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich

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