„Die Herren dieser Welt kommen und gehen, unser Herr bleibt! Der Herr, der nicht mit Gewalt und Pracht und Kriegsgerät daherkommt, sondern mit den wehrlosen Kräften des Kindes. Der, der als Mann allein mit den Waffen des Wortes und einem Leben in Liebe gewirkt hat. Diesen Herrn ehren wir mit Musik und Kunst und unseren Kirchen und einem Leben in Verantwortung“, sagte Stadtsuperintendent Bernhard Seiger in der Predigt am Heiligabend in der Reformationskirche in Köln-Bayenthal. Er sprach über den Predigttext Lukas 2, 1-14 (15-20). Lesen Sie hier die Predigt:
Liebe Gemeinde!
Der Predigttext für den Heiligen Abend ist die Weihnachtsgeschichte nach Lukas, die wir eben gehört haben. „Es begab sich aber zu der Zeit…“
Wir hören sie dieses Jahr die Weihnachtsgeschichte mit der Erfahrung des Jahres 2022, die im Februar als „Zeitenwende“ bezeichnet wurde. Wir hören die Worte und sind nahe bei denen, die sich jetzt in der Ukraine in U-Bahnhöfen bergen oder nur mit Kerzen und Gaskocher in ihren Wohnungen sitzen. Und auch bei denen, die in unserer Stadt nach ihrer Flucht aus den Kriegsgebieten Zuflucht gefunden haben.
Wie hören wir dann die Geschichte von Maria und Joseph und der Geburt im Stall von Bethlehem? Es kann sein, dass uns der süße Glanz des Festes, das Jubeln der Engel auf dem Hintergrund ein wenig suspekt ist.
Ja. Lassen wir uns mal darauf ein, die Weihnachtsgeschichte nach Lukas pur zu hören. Wirklich auf das zu schauen, was da steht, jenseits aller kulturellen und musikalischen Weiterentwicklung.
Am Anfang steht eine historische Angabe, die Datierung des Geschehens.
Der Name des Herrschers ist genannt – wir befinden uns in einer Provinz am Rande der Weltgeschichte, die immer schon weltliche Herren hatte, in Rom wie in Jerusalem und überall. In dem Fall Kaiser Augustus.
Es war zu Zeiten von Biden und Putin und Xi Jinping. Es war zu Zeiten, als Macht ausgeübt wurde und um menschliche Herrschaft gerungen wurde. Es war damals wie heute: politisches Geschehen bestimmt den Rahmen, in dem menschliches Leben stattfindet. Es gibt Kriegszeiten und es gibt Friedenszeiten: „Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde.“
Die Datierung der Weihnachtsgeschichte ist nicht nur dahingesagt. Sie verortet die Gottesgeschichte in der Weltgeschichte und umgekehrt.
Gottes Wahrheit ist nicht nur jenseitig und geistig, sondern sie ist untrennbar mit der irdischen Geschichte verbunden, mit dem, was Menschen tun und gestalten, erleben und erleiden.
Und zum anderen ist die Nennung des Herrschers und seine Zuordnung zur Person Jesu Christi eine theologische Aussage höchster Güte.
Der römische Kaiser wurde immerhin „Kyrios“ genannt, nicht nur Herrscher, sondern „Herr“.
Der Engel spricht: Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird. Denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Kyrios in der Stadt Davids.“
Das ist die Ansage: Trotz des allseits bekannten Herrschers in Rom wird hier gesagt: Hier ist der Herr.
Der bewohnten Welt wird angesagt, wer wirklich der Herr der Welt ist. Wer immer damals oder heute das Geschehen bestimmt – es ist alles nur vorläufig, wer und welche Macht uns beherrscht:
Der Herr über das Leben ist ein anderer, lasst euch nicht täuschen, das lasst euch gesagt sein.
Hier steht die Ansage:
„Der Kyrios ist ein anderer. Und ihr findet ihn anders als ihr zumeist denkt.“
Gott kommt in bescheidene Verhältnisse.
Gott ist erhaben, aber er bleibt nicht dabei, er ist dort in Bethlehem in einer einfachen Unterkunft und später bei allen in Dorf und Stadt zu finden, aber vor allem bei denen, die nicht im Rampenlicht stehen. Gottes Weg geht vom göttlichen Glanz in das Elementare des menschlichen Lebens. Gott ist da, wo Menschen ihren Alltag leben. Er ist da, wo Menschen sich einsetzen mit ihren begrenzten Kräften und wo sie auch an Grenzen kommen, z.B. in der Pflege und in der Behandlung von Kranken. Er ist da, wo einer am Telefon da ist, wenn seelische Not und Einsamkeit einen Menschen traurig werden lassen.
Was wird konkret von der Geburt Jesu erzählt? Es wird erzählt von einer Geburt in denkbar ungünstigen Umständen: „Sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.“
Maria und Joseph sind unterwegs, um eine staatliche Anordnung zu erfüllen. Sie ist schwanger, steht kurz vor der Niederkunft. Das ist die Beschreibung von gefährlichen Umständen für eine Geburt. In dieser Situation fehlt das normale Umfeld für eine gebärende Mutter. Es braucht Hilfe, es braucht Wasser und möglichst hygienische Verhältnisse. All das gibt es nicht. Maria wird zum ersten Mal Mutter, hat keine Erfahrung. Sie hatte außer dem ebenso unerfahrenen Joseph keinerlei Unterstützung. Es gab keine Hebamme, die das Kind „holt“, die Nabelschnur durchtrennt und das Kind wäscht, wickelt und bettet.
Vor ein paar Tagen erzählte ein ukrainischer Soldat an der Front davon, dass seine Frau in diesen Tagen ein Kind bekomme, irgendwo in halbwegs sicherer Umgebung weit weg, und er sei hier, fernab.
Eine Geschichte von vielen, wie hart es zugehen kann.
Die Unterkunft von Maria und Joseph war menschenleer. Das Wort „Herberge“, mit dem Luther übersetzt, ist etwas irreführend. Da steht im Griechischen „katalyma“ „Nachtlager“, oder „Schlafplatz“, nicht mehr. Wir haben hier kein ausgebuchtes Hotel, in dem Räume zu mieten sind. Es handelt sich um eine unbewohnte Kalksteinhöhle, wie es sie in der Gegend um Bethlehem auch heute noch gibt.
Unsere wunderschönen Krippen, die wir in diesen Wochen aufsuchen und bewundern, bilden also nicht den historischen Geburtsort Jesu ab. Sie sind von der Kunst, von der Malerei ab dem 12. Jahrhundert gezeichnet. Dass Jesus, der Retter der Welt, in einem Stall mit Balken und Stroh geboren ist, geht auf eine Vision von Bernhard von Clairvaux zurück, den Gründer der Zisterzienserklöster. Die Krippendarstellungen nördlich der Alpen sind geprägt dieser Sichtweise.
Sie passt mit den Gebäuden der Landwirtschaft zusammen, die unser Kulturkreis kennt. Das ist alles stimmig und hilft unserer Vorstellung auf, uns in das Weihnachtsgeschehen einzufühlen, so es ist nur nicht historisch.
„Maria gebar ihren ersten Sohn.“ Die Botschaft neuen Lebens. Jede Geburt ist ein Wunder. Und hier beginnt Gott neu, auch diese Nacht. Das gibt uns Zuversicht: Dann, wenn es am dunkelsten ist, fängt Gott neu an und schafft damit den Grund der Hoffnung.
Im nächsten Schritt wird berichtet vom Engel, der zu den Hirten kommt. Der „Engel des Herrn“. Kein niedlicher Holz- oder Porzellanengel, sondern einer mit einem mächtigen Wort. Er schwebt nicht ein, sondern er tritt auf: „trat zu ihnen“ steht da.
Eine Begegnung, die man erst mal wirken lassen muss. Eine Begegnung, die Furcht erzeugt, weil sie unerwartet ist und das Gewohnte unterbricht. Die Begegnung mit dem Engel ist „faszinosum et tremendum“, „anziehend und zugleich beunruhigend“, denn Gott selbst tritt auf.
Und jetzt sagt der Engel den Satz, den wir immer wieder gebrauchen können, der hier seinen Ursprung hat:
„Fürchtet euch nicht!
Fürchten Sie sich nicht! Fürchte Dich nicht!“
Es ist gut, diese Zusage wirken zu lassen. In wie vielen Situationen brauchen wir sie!
Und sie bereitet den Boden für zwei weitere kurze Sätze, die an Bedeutung gewinnen:
„Ich verkündige euch Freude.“
Dann kommt die Begründung für die Botschaft:
„Euch ist heute der Heiland geboren.“
Das ist der Kern der Geschichte. Das ist die Botschaft von Weihnachten: „Der Heiland ist geboren.“
Die Freude ist wichtig. Aber sie ist die Folge des Großen, das geschieht: Der Geburt neuen Lebens.
Und die Musik ist wichtig, aber sie ist die Folge des Ereignisses zwischen Himmel und Erde, das in seiner Spannung nie zur Gewohnheit werden kann.
Gott wird Mensch – Der Herrscher der Welt, der vor aller Zeit war und nach allem sein wird, macht sich greifbar und sichtbar. Die Übersetzung „Heiland“, die Martin Luther geprägt hat, soll zeigen: Hier ist der „Retter der Menschen“. Er ist der Gegenkaiser zu allen Herrschern, die sich zu Herren der römischen Welt oder Diktatoren anderer Reiche aufschwingen. Damals war das eine Ansage an die Machtverhältnisse im römischen Reich. Kaiser Augustus wird gehen – und all die anderen, die sich für heldenhaft und unersetzbar halten.
Die Herren dieser Welt kommen und gehen, unser Herr bleibt! Der Herr, der nicht mit Gewalt und Pracht und Kriegsgerät daherkommt, sondern mit den wehrlosen Kräften des Kindes. Der, der als Mann allein mit den Waffen des Wortes und einem Leben in Liebe gewirkt hat. Diesen Herrn ehren wir mit Musik und Kunst und unseren Kirchen und einem Leben in Verantwortung.
In der Botschaft des Engels: „Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids“ steckt das alles drin!
Hier wird die Machtfrage benannt und die Antwort verkündet. Das ist eine Ansage für Rom, für Washington und Moskau und Peking und Kiew und natürlich auch uns hier.
Wie wird diese Machtansage gehört, da, wo Raketen abgeschossen werden und da, wo Raketen eingehen?
Ich weiß es nicht.
Aber die Frage können wir stellen: Haben die Raketen die Macht – oder das Wort und die Zartheit dieses Kindes?
Was glauben wir?
Was passiert, wenn wir glauben: Die Raketen und der beste Stand der Rüstung haben das letzte Wort?
Und was passiert, wenn wir dafür eintreten: Die Macht ist bei dem Kind, das für Würde, für die Geltung der Gebote Gottes steht und dessen Wesen und ganzes Werk Versöhnung und nichts als Versöhnung ist?
Entscheidet sich das nicht im Herzen jedes Menschen?
Was ist, wenn sich alle anstecken lassen vom Friedensruf, der von Bethlehem ausgeht? Überall auf der Welt?
Können Menschen zulassen, dass sie Mensch sind und nicht Gott? Und dass darin ihre Würde besteht, Kind Gottes zu sein, und die aller anderer auch?
Weihnachten übt uns darin ein, uns diese Güte Gottes zusagen zu lassen und so Kinder des Friedens zu werden.
Diese Botschaft ist in den Augen vieler schwach. Aber ist sie das wirklich, oder ist die Kraft der Liebe nicht die einzige Kraft, die dieses Leben auf Dauer wirklich voranbringt?
Das Kind in der Krippe wird später von sich sagen:
„Ich bin der gute Hirte, der für seine Schafe da ist.“
Er kann uns aufrichten und getrost machen.
Denn nicht wir tragen unser Leben mit all seinen Widersprüchen, sondern ein anderer, auch wenn wir es nicht sehen.
Dieses Vertrauen lässt uns singen und loben! Amen.
Text: APK
Foto(s): Ebels
Der Beitrag „Ist die Kraft der Liebe nicht die einzige Kraft, die dieses Leben auf Dauer wirklich voranbringt?“ – Weihnachtspredigt von Stadtsuperintendent Bernhard Seiger erschien zuerst auf Evangelischer Kirchenverband Köln und Region.