Christentum und Rechtspopulismus: Diskussion der Melanchthon-Akademie
Die katholischen Bischöfe und die EKD positionieren sich eindeutig gegen völkisches Denken. Aber rechtspopulistische Ansichten sind auch in kirchlichen Milieus verbreitet. Wie gefährlich sind diese Kreise und was können Christen zur Verteidigung der Demokratie beitragen? Der evangelische Journalist Arnd Henze, Mitglied der 13. EKD-Synode, der katholische Politikwissenschaftler Dr. Andreas Püttmann sowie die katholische Theologin und Professorin Ursula Nothelle-Wildfeuer, zugleich Beraterin der deutschen Bischofskonferenz, stellten in Statements und einer kurzen Diskussion dar, was das Christliche zum Gelingen einer offenen und pluralen Gesellschaft und zur Überwindung einer um sich greifenden Demokratieverdrossenheit beitragen kann. Die gemeinsame Veranstaltung der Karl-Rahner-Akademie und der Melanchthon-Akademie wurde von etwa 50 Leuten besucht, auch eine Online-Teilnahme war möglich.
Ursula Nothelle-Wildfeuer: „Populisten höhlen den Glutkern des christlichen Glaubens aus“
„Ich wäre froh, dieses Thema würde es gar nicht geben“, eröffnete die Professorin Ursula Nothelle-Wildfeuer ihr Statement. „Christlicher, gestützter Populismus ist eine große Herausforderung für uns Christen.“ Die Deutsche Bischofskonferenz hat ein eindeutiges Papier verabschiedet, was aussagt, dass völkischer Nationalismus und das Christentum nicht vereinbar sind. Wodurch zeichnet sich Populismus eigentlich aus? Ursula Nothelle-Wildfeuer nahm zur Erklärung die Definition des Politikwissenschaftlers Jan Werner Müller zu Hilfe: „Populisten sortieren das wahre Volk, sie sehen sich als Vertreter der schweigenden Mehrheit. Man ist nicht an der Regierung und sieht das als Fehler der Demokratie an.“ Populisten würden einen moralischen Alleinvertretungsanspruch erheben. „Populisten sehen immer Freund und Feind, sie betonen das Anti-Elitäre. Man wendet sich gegen ,die da oben‘ und die sogenannten ,Gutmenschen‘.“ Pluralismus, wie er in der heutigen Gesellschaft existiert, dürfe nach Auffassung von Populisten nicht sein. Populismus setzte auf die eigene Freiheit, nicht die der anderen. „Flucht, Migration und Menschenrechte gelten nur für das eigene ethnische Umfeld, nicht für alle in der Gesellschaft.“
All das sei mit christlichen Grundsätzen nicht vereinbar, trotzdem gebe es einen nicht unerheblichen Teil christlich gestützten Populismus. „Diesen Leuten geht es um Ordnung und Autorität, sie vertreten einen katholischen Antimodernismus und bleiben bei den Pius-Päpsten stehen.“ Man könne nicht übersehen, dass sich Christentum und Populismus ausschließen. „Das Christentum erkennt jeden Menschen in seiner Würde an, Populisten schließen ganze Gruppen aus. Christen stehen auf der Seite aller Armen, christliche Solidarität ist nicht gruppenbezogen. Christen erkennen die Religionsfreiheit bedingungslos an und unterscheiden in dem Sinne zwischen Islam und islamistischem Terrorismus. Populisten höhlen den Glutkern des christlichen Glaubens aus.“
Wie geht man mit Populisten um? Ursula Nothelle-Wildfeuer positioniert sich eindeutig: „Die Kirche muss sich von falschen Positionen eindeutig distanzieren. Bildung und Öffentlichkeitsarbeit sind dabei wichtige Aufgaben. Wir haben die unbedingte Aufgabe, wachsam zu sein.“
Andreas Püttmann: „Die rechtspopulistische Kirchenszene weist narzisstische Züge auf“
„Das Gefährliche an der neuen Rechten ist ihre Abgrenzung von der alten Rechten und gleichzeitig ihr Eindringen in das linke Wählerreservoir“, sagte der katholische Politikwissenschaftler Dr. Andreas Püttmann. Man habe die gleichen Feinde wie damals, die Altparteien, den Islam, die Ausländer. Aufpassen müsse man wegen des gemäßigten Auftretens der neuen Rechten: „Der Wolf frisst Kreide, solange es opportun erscheint.“ Gefährlich sei außerdem das Bekenntnis der AfD zum christlichen Menschenbild, was allerdings schnell widerlegt sei: „Schaut man ins Grundsatzprogramm, kommen Christen sehr selten und nur im anti-islamischen Kontext vor.“ Allerdings gebe es ein kleines Segment der Katholiken, die über Geschlechterordnung und Familie angelockt würden. Etwa acht Prozent der Katholiken und neun Prozent der Protestanten hätten bei der letzten Wahl die AfD gewählt. „Man muss ganz klar feststellen: Rechtspopulismus ist das Gegenteil des Christentums. Bischöfliche Autoritäten sind völlig nebensächlich, Kritiker werden als Nestbeschmutzer angesehen. Die rechtspopulistische Kirchenszene weist narzisstische Züge auf.“
Was sind die Ursachen der Radikalisierung einiger Christen? „Auch hier herrscht Dauerfrustration, man hat ein verfestigtes einseitiges Feindbild, es gibt finanzielle und ideelle Unterstützung durch naive Mitläufer, man hat eine sehr gute Vernetzung.“ Selbstkritisch merkte Andreas Püttmann an, dass es auch Provokationen durch einen überdrehenden Liberalismus gebe, was die Menschen in die Arme der Populisten treibe. Dazu gebe es eine mangelnde Konfliktbereitschaft des liberalen Katholizismus.
Arnd Henze: Große Herausforderungen im Osten
Arnd Henze berichtete von lebhaften Diskussionen zum Thema Populismus innerhalb der evangelischen Kirche, die er selber sehr leidenschaftlich geführt habe. „Letztlich waren wir uns aber alle einig in der Ablehnung des Rechtspopulismus.“ Trotzdem stehe man gerade im Osten Deutschlands vor Herausforderungen, denn dort haben auch Protestanten, ähnlich wie die restlichen Wählergruppen, ihre Stimme der AfD gegeben – einzige Ausnahme sei hier Brandenburg. „Was ist hier anders gelaufen?“, fragte Arnd Henze. „Man hat von vorneherein als evangelische Kirche klare Kante gezeigt und sich ganz klar zur AfD abgegrenzt. Woanders wurde die AfD in die große Gemeinschaft der Christen aufgenommen.“
Das zeige klar, dass Kirchen sich eindeutig positionieren müssten. Trotzdem blieben immer noch 17 Prozent AfD-Wähler im Osten, das sei ein Problem. „Potsdam (eine Zusammenkunft von Menschen mit rechtsradikalen Vorstellungen) hat den gesellschaftlichen Lähmungsprozess aufgeweicht. Die evangelische Kirche etwa war einer der Veranstalter der großen Demos in Hamburg.“ Die evangelische Allianz habe eine Führung mit ganz klarem Kompass. So schön diese Demos seien, man müsse beachten, dass die großen Veranstaltungen eher Wohlfühl-Demos in der eigenen Blase waren. „Die kommenden Landtagswahlen im Osten sind eine große Herausforderung, die Kirche muss die Landesverbände dort unterstützen.“ Die Kirchen hätten dort eine Schlüsselrolle.
Selbstkritisch führte Arnd Henze aus, dass man sich gerne einbilde: „Wir sind die Guten“. Aber: „Wir sind eine homogene Gruppe mit großer Liberalität. Wir sind allerdings nicht gesellschaftlich plural. Unsere Wagenburg hat sich an vielen Stellen geschlossen“. Das sei eine große Herausforderung: „Werden wir der heilige Rest, mit der Gefahr, dass wir irrelevant werden, oder werden wir der Lernort für die Vielfalt in der Gesellschaft?“
Diskussion: Sollen wir mit den Populisten reden?
„Jetzt sitzen wir hier und diskutieren über die Populisten, sollten wir nicht mit ihnen reden und einen Vertreter der AfD einladen?“, fragte Henze. Man war sich einig: Die andere Seite habe kein Interesse an konstruktiven Lösungen und Austausch. Arnd Henze seien Menschen immer willkommen, aber nicht als „Institution AfD“. Andreas Püttmann sah blanken Populismus in der Zusammenarbeit mit menschenverachtenden Regimen. „Wir müssen christlichen Pazifismus davon differenzieren.“ Weiter fühle er sich betroffen, wenn Christen jemanden wie Donald Trump an die Macht bringen. Trotzdem solle man sich nicht kleinreden, Christen würden anteilmäßig weniger AfD wählen als Nicht-Christen. Arnd Henze sieht aus der Vergangenheit bis heute eine Lerngeschichte bei der evangelischen Kirche, das reklamiert Ursula Nothelle-Wildfeuer auch für die katholische Kirche.
Text: Dr. Klemens Surmann
Foto(s): Dr. Klemens Surmann
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