Diakoniespende 2022/2023 – Anke Bruns: „GULLIVER gibt Obdachlosen Respekt und Würde“

In den kommenden Monaten, bis September 2023, steht die Überlebensstation GULLIVER im Bahnbogen 1 in der Trankgasse am Hauptbahnhof im Mittelpunkt der Diakoniespende 2022/2023 des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region. Die Spende soll unter anderem dazu dienen, die Öffnungszeiten der Überlebensstation auszuweiten. Denn die Anlaufstelle für obdachlose Menschen, die täglich rund 200 Gäste zählt, möchte an 365 Tagen im Jahr statt von 8 bis 15 Uhr von 8 bis 18 Uhr für die Menschen da sein. Der Evangelische Kirchenverband Köln und Region verdoppelt bis zum 30.9.2023 jeden gespendeten Cent bis zu einem Gesamtspendenaufkommen in Höhe von 100.000 Euro für die Überlebensstation GULLIVER. Ein Gespräch mit Journalistin Anke Bruns, eine der Unterstützerinnen der Diakoniespende 2022/23:

Warum sollten Menschen die Diakoniespende und damit das Gulliver unterstützen?

Anke Bruns: Weil obdachlose Menschen gerade in der Nähe des Bahnhofs eine feste Anlaufstelle benötigen. Einen Ort, an dem sie mit dem Notwendigsten versorgt werden, wo sie einen Happen essen, duschen, sich im Winter aufwärmen und bei Bedarf ihre Klamotten waschen können. Und je länger so eine Anlaufstelle mit Hilfe der Diakoniespende geöffnet ist, um so besser.

Wie sind Sie auf die Arbeit der Überlebensstation aufmerksam geworden?

Anke Bruns: Ich weiß gar nicht mehr so genau, wann ich das erste Mal von der Idee gehört habe, dass in den Bahnbögen eine Überlebensstation für Obdachlose eingerichtet werden soll. Ich habe in der zweiten Hälfte der 90er Jahre diverse Veranstaltungen im Domforum zum Thema „Obdachlosigkeit in Köln“ moderiert. Da haben Obdachlose immer wieder kritisiert, dass sie von der Polizei oder vom Ordnungsamt weggescheucht werden, wenn sie sich tagsüber am Hauptbahnhof aufhalten. In dem Kontext erfuhr ich dann, dass in den Bahnbögen eine Art Obdachlosen-Café entstehen soll.

Was verbindet Sie mit dem Gulliver?

Anke Bruns: Wen ich ehrlich bin, im Alltag wenig. Obwohl das Gulliver nur einen Steinwurf von meiner Wohnung entfernt liegt und ich dort fast täglich vorbei gehe. Es ist ja eine Überlebensstation für Obdachlose. Ich bin nur im Gulliver, wenn dort Veranstaltungen stattfinden, die mich interessieren. Und einmal war ich sogar auf einer Party im Gulliver. Aber das ist seeeehr lange her. Thomas Münch hatte dort kurz nach der Eröffnung 2001 seinen runden Geburtstag gefeiert. Da war ich mit dabei.

Was ist für Sie das Besondere des Gulliver?

Anke Bruns: Dass obdachlosen Menschen dort so viel Respekt und Würde entgegengebracht wird. Wir blicken oft mit Mitleid auf Menschen, die aus welchen Gründen auch immer auf der Straße leben. Mitleid finde ich wichtig, weil es aus meiner Sicht notwendig ist, um die Not eines Menschen zu erkennen und zu handeln. Klar kann man jemandem ein, zwei Euro in die Hand drücken. Aber das hilft ihm oder ihr mittelfristig nicht, die eigenen inneren Ressourcen (wieder) zu heben. Und an der Stelle gefällt mir das Konzept im Gulliver sehr. Die Gäste im Gulliver müssen für ihr Essen etwas zahlen. Nicht viel. Aber es gibt es eben auch nicht umsonst. So wie auch viele andere Dienstleistungen nicht kostenlos sind. Wohl aber erschwinglich. Ich bin weder Sozialarbeiterin, noch Psychologin. Aber ich glaube schon, dass es auch für Menschen in Not wichtig ist, sich selbst immer wieder auch als Gebende zu erfahren. Das stärkt den eigenen Selbstwert. Deshalb finde ich auch den Ansatz gut, dass die Gäste im Gulliver selbst mit anpacken dürfen.

Was waren Ihre ersten Gedanken nach der Anfrage, Unterstützerin der Diakoniespende zu werden?

Anke Bruns: Das war ein kleines Hin und Her in meinem Kopf. Mein erster Gedanke war: Ja! Natürlich mache ich das. Mein zweiter: Darf ich das denn überhaupt, als unabhängige Journalistin, die sich viel im sozialen Bereich tummelt, öffentlich für ein einzelnes soziales Projekt werben? Mein dritter Gedanke war: Ja. Das darf ich. Weil es wichtig und sinnvoll ist, dass das Gulliver seine Öffnungszeiten ausweiten kann.

Kennen Sie von sich oder aus Ihrem Umfeld Berührungsängste mit obdachlosen Menschen?

Anke Bruns: Natürlich kenne ich die. Bei mir selbst und auch bei anderen. Ich glaube, dass obdachlose Menschen in uns allen unterschiedlichste Gefühle erzeugen können. Je nachdem, wen wir wo und wie treffen und in welcher Verfassung wir selbst sind. Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel: Manchmal sitzt vor meinem Supermarkt eine obdachlose Frau. Sie sagt nichts, sitzt einfach nur still da und hofft, dass ihr jemand Geld in die Schale wirft. Wenn ich nicht gerade in Eile bin, spreche ich kurz mit ihr. Manchmal frage ich sie auch, ob ich ihr was mitbringen kann. Ich habe bei ihr keinerlei Berührungsängste. Am Breslauer Platz treffe ich wiederum regelmäßig eine obdachlose Frau, die oft mehrere Lagen diverser Kleidungsstücke übereinander trägt und immer wieder etwas wirr gehetzt von einer Ecke zur nächsten läuft. Auf sie würde ich nicht offen zugehen. Bei ihr habe ich Berührungsängste. Ich kann gar nicht genau sagen, wieso. Ich glaube, dass eine tiefsitzende Unsicherheit dahintersteckt. Wie begegne ich jemandem, der ganz widersprüchliche Gefühle in mir auslöst? Um den ich vielleicht einen Bogen machen möchte, weil er ganz und gar nicht gut riecht. Der mir aber zugleich leidtut, weil ich spüre, dass er oder sie in Not ist. Ich finde darauf nicht immer gute Antworten und Wege für mich. Deshalb: Ja, ich habe Berührungsängste. Nicht immer. Aber manchmal.

www.diakoniespende-koeln.de

Text: Katja Pohl
Foto(s): Uli van Beveren

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