„Die Region muss sich gemeinsam neu finden“ – Podiumsdiskussion (mit Video)    

Zukunftsvisionen

Das Gemeindehaus in Kerpen war gut besucht und die zweistündige Diskussion fesselte sichtbar Zuhörer und Redner. Die Podiumsteilnehmer schilderten zum Einstieg ihre persönlichen Visionen des Jahres 2040: Spannend, zuweilen auch traurig, bewegend und gleichwohl komplex.

Schnell wurde klar, dass die thematische Bandbreite enorm groß ist. Mit den Veränderungen sind Konflikte auf vielen Ebenen in der gesamten Region verbunden. Der Tagebau prägte die Geschichte und Landschaft der Region gleichermaßen. Er hat Spuren hinterlassen, auch bei den Menschen, die hier wohnen und die hier eine Zukunft haben wollen.

Anfang eines großen Prozesses

v.l. Sammy Wintersohl, Sascha Solbach, Andreas Heller, Joachim Schwister, Martin Sagel und Frank Drensler

„Wir müssen das vor Ort umsetzen, wir stehen am Anfang eines großen Prozesses“, formulierte Sascha Solbach, Bürgermeister in Bedburg, vorsichtig. Und bei allen Überlegungen stände auch der enorme Zeitdruck, innerhalb weniger Jahre Lösungen zu finden, im Vordergrund. Der Wunsch nach neuen Arbeitsplätzen steht neben der Angst vor dem Abbau vorhandener wirtschaftlicher Stabilität einer ganzen Region.

Die Sehnsucht nach einer „schönen Landschaft ohne den Tagebau“, schilderte Andreas Heller, Bürgermeister in Elsdorf, etwas, was ihm „seine“ Bürger vermitteln. „Wir haben unsere Schuldigkeit getan“, dieser Satz kam ihm aber auch über die Lippen. Das Grundbedürfnis der Menschen nach Planungssicherheit und einer verlässlichen Zukunft benannte er ebenfalls. „Wir wollen in 2040 nicht zurückblicken auf den Schauplatz eines Energiekonzeptes, welches nicht funktioniert hat“, führte er weitere Ängste und Sorgen der Bürger aus.

Joachim Schwister, technischer Beigeordneter in Kerpen, betonte dagegen, „ wir gehen nicht nur auf ein dunkles Loch zu, wir können uns auch auf die Zukunft freuen“. Man stünde am Anfang einer Verbesserungsphase, formulierte er optimistisch. Später benannte er viele Beispiele technologischer Entwicklungen, die positiv seien und die man nun von hier aus bedienen könne. „Wenn man seit 100 Jahren Profi im Stromerzeugen ist, dann muss man sich doch überlegen, ob man das einfach aufgibt“, forderte er. Man könne sich in Zukunft hier, wie in keiner anderen Region, mit regenerativen Energien beschäftigen. „Heute Abend reden wir über Prozesse, um zu klären, wie man miteinander redet – aber im Grunde geht es doch auch um Inhalte, die wir dann mit entsprechenden Profis klären müssen“, so seine These.

Die Fehler der letzten Jahrzehnte

Martin Sagel, Mitglied der evangelischen Kirchengemeinde Kerpen, wiederum schilderte authentisch die Trauer um den Ort Manheim, in dem er aufgewachsen ist. Bedingt durch den Tagebau werden ihn seine Kinder im Jahr 2040 nicht mehr sehen können. „2040, das wird für mich ein trauriger Rückblick“, beschrieb er seine Situation. Die Fehler der letzten Jahrzehnte seien aber nicht hier, lokal, gemacht worden.

Frank Drensler, Pfarrer in Kerpen, griff die emotional schwierige Situation der Anwohner auf und beschrieb die durchaus auch kirchliche Aufgabe, Trauerprozesse zu begleiten. „Wir wollen verschiedene gesellschaftliche Akteure zusammen bringen und weg von der Polarisierung – wir wollen den Blick nach vorne wenden und im Prozess Verantwortung übernehmen“, formulierte er eine von vielen Rollen, die Kirche hier übernehme. „Als Kirche stellen wir Räume zur Verfügung und ich fordere Sie alle auf, am gesellschaftlichen Diskurs teilzunehmen und sich gegen jede Polarisierung zu wenden“, forderte er gegen Ende des Abends.

Nöte und Chancen

Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Podiumsdiskussion vermittelten den Zuhörerinnen und Zuhörern einen Einblick in die großen Aufgaben, die in den kommenden Jahren anstehen. Die Not, innerhalb sehr kurzer Zeit im Grunde eine neue Leitindustrie für die Region aufzubauen, wurde deutlich. Die Verantwortung, die von den kommunalen Politikern täglich gespürt wird, kam in ihrer Größe an. Arbeitsplatzsorgen, Zukunftssorgen, Sorgen um eine Landschaft, die noch in Jahrhunderten lebenswert und liebenswert sein soll – „und wir sollen das jetzt lösen“, äußerte sich Solbach mit Blick auf die Bundespolitik, die jetzt Ruhe habe, so beschrieb er es. Auch Heller schilderte drastisch die Folge des Strukturwandels: „Die Kaufkraft, die hier verloren geht, wird jeden Bäcker und jeden Friseur treffen“, so seine Prognose. Gleichwohl schilderten beide auch Chancen, die jetzt unter anderem durch die Fördermöglichkeiten entstehen würden.

Wortmeldungen aus dem Saal

Auch Gäste nutzen die Gelegenheit, sich an der Podiumsdiskussion zu beteiligen.

Die Diskussion fand als Dialog nicht nur auf dem Podium, sondern auch im Saal statt: „Wir müssen doch über die Parteien hinweg überlegen, was machbar ist, auch wie wir es in die Hand nehmen können“, forderte ein erster Sprecher. „Alles, was bisher an Ideen genannt wurde, wird doch in den wenigen Jahren, die zur Verfügung stehen, nicht umsetzbar sein“, kritisierte ein zweiter Zuhörer. Ein weiterer meldete sich und gab offen zu, dass ein Bürgerforum eventuell gar nicht das richtige Forum für die zu lösenden Probleme sei.

Auch Pfarrerin Almuth Koch-Torjuul meldete sich und formulierte nachdenklich: „Es ist viel Expertenwissen geäußert worden und dieses braucht man auch, das ist klar. Doch lässt mich das eher verstummen, auch die Komplexität der Angelegenheit lässt mich stumm werden. Umso dankbarer bin ich, dass sich nun zwei jüngere Zuhörer gemeldet haben. Wir müssen doch gerade die jüngere Generation mit auf den Weg nehmen“. Sie forderte anschließend, sich hierzu Ideen zu überlegen – dieser Vorschlag wurde, ebenso wie andere, noch vor Ort aufgegriffen.

Lokaler und globaler Klimawandel

„Den Prozess des Strukturwandels, den können wir nicht ohne Fachleute und Expertenwissen angehen“, betonte Heller. Aber die Diskussion der gesamten Situation, die müsse man eben mit allen führen. Als Bürgermeister der Region müsse man diese besonders im Auge haben, ergänzte Solbach. Man könne sicher nicht von Deutschland aus die Probleme der ganzen Welt lösen, „aber wir können es versuchen“, antwortete er mit Blick auf eine kritische Stimme aus dem Publikum, die an den globalen Klimawandel erinnert hatte.

Heller wiederum erklärte zum Ende des Abends, dass er sich ein solches Gespräch schon vor einem halben Jahr gewünscht hätte. Er äußerte Kritik an einer einseitigen Positionierung innerhalb der Debatte rund um den Hambacher Forst. Auch von Seiten der Evangelischen Kirche. Drensler nahm dies auf, „allerdings ist Kirche immer auch ein Spiegelbild der Gesellschaft“.


Information

Am Mittwoch, 5. Juni, 19:30 Uhr, wird die Reihe „Kirche diskutiert anders“ im Gemeindehaus der Evangelischen Kirchengemeinde Sindorf, Augsburger Straße 23, 50170 Kerpen-Sindorf, fortgesetzt. Dann lautet die Frage: „Was können die Menschen in unserer Region zur Energiewende beitragen? Wie können wir die Erreichung von globalen Klimazielen unterstützen? Was gehört zu einem nachhaltigen Lebensstil?“. Diskutieren werden Jutta Schnüttgen-Weber (BUND), Guido Steffen (RWE Power AG), Volker Rotthauwe (Institut für Kirche und Gesellschaft der Ev. Kirche von Westfalen) und Dr. Bernhard Seiger (Superintendent Ev. Kirchenkreis Köln-Süd).

Hier finden Sie den Flyer der Veranstaltungsreihe.

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Text: Judith Tausendfreund
Foto(s): Judith Tausendfreund

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