Kartäuserkirche: Gottesdienst zur Entpflichtung von Pfarrerin Ina Schubart und Pfarrer Dietmar Zissoldt
Nachsinnen über das Ende von Lebensabschnitten – über Abschiedsschmerz und das, was man loslässt, loslassen muss. Ebenso ein Überdenken, was Veränderungen bewirken können – ein sich freuen auf das, was die nächsten Schritte bereithalten. Ein Vertrauen in das Neue, das sehr wohl als Chance begriffen werden darf. Ein Vertrauen in die Verheißungen Gottes. So könnte man den Gottesdienst zusammenfassen, in dem Superintendent Markus Zimmermann Pfarrerin Ina Schubart und Pfarrer Dietmar Zissoldt entpflichtet hat. Damit schieden sie aus ihrem jahrzehntelangen Dienst an Berufskollegs aus. Doch beinhaltete die Verabschiedung in der Kartäuserkirche weit mehr: nämlich den Dank für ihr langjähriges Engagement. Und die Zusage, die Stärkung für ihre weiteren Wege.
Also für den Wechsel in die Freiheit, wie es Pfarrer Jost Klausmeier-Saß vom Pfarramt für Berufskollegs im Evangelischen Kirchenverband Köln und Region „anders“ formulierte. In seiner Begrüßung der großen Gemeinde aus Angehörigen, Freunden, Kolleginnen und Kollegen von Schubart und Zissoldt nannte er den Begriff der Entpflichtung merkwürdig und sperrig. Einfacher gesagt heiße es danach: „Alles darf sein, muss aber nicht. Eben gelebte evangelische Freiheit. Sie bleiben Pfarrerin und Pfarrer, aber nicht mehr auf einer Pfarrstelle.“
Zissoldt war tätig am Goldenberg Europakolleg mit Standorten in Hürth und Wesseling. Das Thema seiner Predigt ließ er von Kantor Thomas Frerichs anspielen. Ein wohlbekanntes Lied, wie sich nach den ersten Tönen herausstellte: „Niemals geht man so ganz“ von Trude Herr. Sie habe das Lied 1987 vor ihrem Abschied von Köln gesungen, erinnerte der Pfarrer. „Vieles von dem, was ihr wichtig war, hat sie zurückgelassen.“ Sie habe gesungen von Tränen, Wehmut und Trauer. Von der Unsicherheit, was sie in der Ferne erwarte. Über ihre Hoffnung, „niemals geht man so ganz, ein Stück von mir bleibt hier“.
„Ich merke, gerade in der letzten Zeit, dass es mir sehr schwerfällt, Abschied zu nehmen“, gestand Zissoldt. 36 Jahre Wesseling und Hürth seien mehr als ein halbes Leben. Eigentlich sei das Kapitel Schule nach dem Abitur für ihn beendet gewesen. Aber die Wege des Herrn seien unergründlich. „Und dann ist der 21. Juni mein letzter Schul- beziehungsweise Arbeitstag“, ging er im Kopf noch zu Erledigendes durch: „Ich werde mein Fach leeren, die Schlüssel abgeben, meinen Kaffeedeckel begleichen und vieles mehr.“
„Abschied ist schwer“
Er nehme ungern Abschied, sprach Zissoldt über von Trauer und Wehmut getrübte Momente. Das heiße auch, liebgewonnenes loslassen, etwa die Schulgemeinschaft. „Abschied ist schwer. Nach so vielen Jahren weiß ich ganz genau, ich werde ganz, ganz viel verlieren“, nannte er ein tolles Kollegium und die Schulkinder. Die von ihm angesprochenen Gefahr, bei Rückblicken in Eigenlob zu verfallen, umschiffte er elegant. Stattdessen betonte er das Wir. „Ich war eigentlich nie alleine. Was haben wir nicht alles erreicht. Ohne eure Unterstützung und Akzeptanz hätte meine Arbeit am Berufskolleg nicht so viel Freude gemacht, hätte ich vielleicht gar nicht so lange ausgehalten.“
Da mische sich die Vorfreude auf die neue Lebenssituation mit Traurigkeit und Wehmut. Ja, er wisse, dass das Leben immer wieder fordere, Vertrautes loszulassen und weiterzugehen. „Wer am Alten haften bleibt und es nicht bewusst loslässt (…) der kann nur schwer sich mit dem Herzen auf das Neue einlassen“, stellte Zissoldt sich selbst ermutigend fest. Das Neue wolle er mit Lust anpacken. Gott sage im Brief des Paulus an die Philipper: „Ich vergesse, was dahinten ist und strecke mich nach dem aus, was vor mir liegt.“ Auch Zissoldt will nach vorne schauen, auf neue Aufgaben, über die er sich eigentlich noch nicht richtig im Klaren sei. Angesichts von Ängsten und Sorgen vor dem Ungewissen auch in Umbruchzeiten wisse er, dass Gott einen Weg für ihn habe. „Er ist bei mir und weiterhin mit mir. Dieser Gedanke tröstet mich und lässt mich letztendlich auch lächeln.“
Schubart versah die vergangenen neun Jahre ihren Dienst am Berufskolleg Kartäuserwall in der Kölner Südstadt. Zu Beginn ihrer Predigt las sie die Worte aus Genesis 12,1-6. Darin folgt Abram/Abraham Gottes Weisung, aus seiner Heimat in ein Land zu ziehen, das er ihm zeigen werde. „Ich werde dich zu einem großen Volk machen, dich segnen und deinen Namen groß machen. Ein Segen sollst du sein.“ Losgehen, sich verändern, ins Unbekannte ziehen, nannte die Pfarrerin das Thema von Abraham. Mit dem Übergang in den Ruhestand erwarte sie selbst das „Herausgehen aus dem vertrauten Tagesgeschehen“, so die Theologin.
In diesem Zusammenhang verwies Schubart auf die tiefenpsychologische Studie „Grundformen der Angst“ (1961) des Psychologen Fritz Riemann (1902-1979). Dieser meinte, dass vier Grundängste unseren Kosmos und uns selbst bestimmen. Schubart wies insbesondere auf zwei dieser Bewegungsrichtungen hin. Der Drang nach Entwicklung, den Riemann mit Angst vor Stillstand gleichsetze. Und der Wunsch nach Stabilität und Vertrauen, bei Riemann die Angst vor Veränderung. Abraham gehöre zur ersten Kategorie, so Schubart. Dabei benötigten wir laut Riemann auch immer etwas von der Gegenbewegung. Abraham habe Bekanntes und Vertrautes mitgenommen, zählte Schubart etwa seine Frau, weitere Angehörige, Tiere, Hab und Gut auf. Er habe von Gott ein Ziel vorgegeben bekommen, die Verheißung eines neuen Landes. „Folge mir – dann wirst du ernten.“
„Ein bisschen wie Abraham ist es mir ergangen“, erinnerte die Pfarrerin. Vor Jahrzehnten sei sie gefragt worden, ob sie nicht an einer Berufsschule unterrichten wolle. „Berufsschule, das klang sehr fremd für mich“, gestand sie. „Jugendliche, die aus ganz anderen Feldern kommen als ich; nehmen die mich überhaupt ernst?“ Und erst das Kollegium. Viele Fragen und Zweifel hätten sie damals bewegt. Letztlich habe sie sich der Herausforderung an einer Duisburger Berufsschule gestellt.
Angesichts der ihr fremden Strukturen dort und manchmal komplett ablehnend eingestellter Menschen in der Schüler- und Lehrerschaft sei es tatsächlich zunächst nicht immer einfach gewesen. Nach nun 32 Jahren an Berufsschulen könne sie aber feststellen: „Es ist etwas anderes passiert.“ Die Fragen, die Kritisierenden, die Andersdenkenden, die mit anderen Prägungen und Erfahrungen, seien ihr wichtig und teuer geworden – „etliche richtig ans und ins Herz gewachsen“. Dieses immer wieder infrage gestellt zu werden, „das ist zu meinem geworden“. Sie habe einen zusätzlichen anderen Blickwinkel gewonnen, den von außen, aus dem Unverständnis heraus.
„Es bleibt sehr viel von dem, was Sie getan haben“
Schubart sprach von ihrem gesammelten Reichtum. Sie habe etwa ein ganz andere „Denke“ kennenlernen dürfen. Das Herauskommen können aus Verkrustungen bedeutet für sie Verheißung, „die, wenn ich mich darauf einlasse, sich erfüllt“. Die Gespräche mit dem Kollegium, die Rückmeldungen von Schulkindern hätten ihr Kraft gegeben. Und nun erwarte sie eine andere Kehrtwende; der Weg zurück zu ihren Wurzeln. „Ich habe angefangen, mich in meiner Wohnortgemeinde einzubringen.“ Dabei nehme sie ihren gewonnenen Reichtum mit. Den wolle sie einbringen in die gewohnten Strukturen. Wolle Mut machen auf die Vielfalt, bestärken darin, auf die manchmal Fernen zuzugehen und sie zu verstehen versuchen. Es gelte, mehr von Abrahams Mut aufbringen und mehr herauszukommen aus der eigenen Komfortzone. Das sei es, was Gott anbiete: „Folgt mir, auch in unbekanntes Gebiet.“
Vor dem eigentlichen Akt der Entbindung von allen dienstlichen Pflichten durch Markus Zimmermann richtete der Superintendent persönliche Worte an beide. Er dankte Schubart, die in den letzten neun Jahren im Evangelischen Kirchenverband Köln und Region tätig gewesen sei, für ihr Durch- und Aushalten. Zissoldts Predigt charakterisierte Zimmermann als bewegend und berührend. „Sie sind eine Institution an ihrer Schule.“ Überhaupt könnten beide sich sicher sein, die Schulkinder geprägt zu haben. Diese Menschen würden sich in ihrem Leben in manchen Situationen gewiss an die Pfarrerin oder den Pfarrer erinnern. „Es bleibt sehr viel von dem, was Sie getan haben“, versprach Zimmermann.
Der Superintendent übermittelte in seiner Ansprache auch allen anderen, die an Schulen und Berufskollegs unterrichten, seine hohe Wertschätzung. Seinen Respekt dafür, dass sie junge Menschen auf deren Weg begleiteten. Dabei geschehe sehr vieles im Verborgenen, beispielsweise in Gesprächen mit dem Kollegium.
Die Kollekte ist bestimmt je zur Hälfte für „Blau-Gelbes Kreuz. Deutsch-Ukrainischer Verein e.V“. und den Förderverein des Goldenberg Europakollegs Wesseling/Hürth.
Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich
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