Reformationsfeier: Seligpreisungen der Bergpredigt sind Wagemut pur

„Wir haben überlegt, dass wir den Reformationsgottesdienst in diesem Kriegsjahr nur mit enger Verbindung zur Ukraine und zu Russland feiern können“, sagte Stadtsuperintendent Bernhard Seiger, als er die Gäste in der Trinitatiskirche zur zentralen Reformationsfeier des Evangelischen Kirchenverbands Köln und Region begrüßte. „Wir hören Werke ukrainischer und russischer Komponisten und bauen damit zumindest musikalisch eine Brücke zwischen beiden Ländern“, fuhr Seiger fort. Die Brücke bauten dann der Kammerchor CONSTANT unter der Leitung von Judith Mohr und die ukrainische Sängerin Tamara Lukasheva, die ein Lied für den Gottesdienst geschrieben hatte. Die Musik nahm die Themen Krieg und Frieden so eindringlich auf, dass die Sängerinnen und Sänger am Ende des Gottesdienstes mit lang anhaltendem Beifall gefeiert wurden.

„Musik heißt, mit dem Herzen zu beten. Das kann man auch ohne die Sprache zu verstehen. Wir sind eine große christliche Gemeinschaft. Das haben wir heute erlebt. Und das ist Ihr Verdienst“, sagte Pfarrer Torsten Krall in Richtung des Chores. Der Superintendent des Kirchenkreises Köln-Rechtsrheinisch leitete die Liturgie des Gottesdienstes. Der stand unter dem Motto „Wagemut“ und suchte Antworten auf die Frage, was es heute heißt, evangelisch zu leben. Eine Antwort wurde bereits in der Einladung vorweggenommen. „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“, hat Kant zur Idee der Aufklärung erklärt. Entsprechend dazu ließe sich die Idee der Reformation folgendermaßen formulieren: „Habe Mut, der unbedingten Liebe Gottes zu vertrauen, ohne Bevormundung eines anderen.“

Pfarrer Christoph Rollbühler von der Christuskirche in der Kölner Innenstadt sprach mit  Volodymyr Chayka über den Krieg in der Ukraine. Chayka ist Erzpriester der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche und hat mit seiner Gemeinde in der Christuskirche ein Zuhause gefunden. Er bedankte sich für die Unterstützung seiner Gemeinde durch die evangelische Kirche und erinnerte daran, dass längst nicht alle Frauen und Kinder flüchten konnten. „Viele in der Ukraine halten jetzt aus ohne Wasser und Heizung. Die Menschen sind mutig und halten zusammen.“ Der Krieg sei extrem grausam. „Wir hoffen, dass Gott uns die Kraft gibt, nicht aufzugeben.“

Seit zweieinhalb Jahren feiert die ukrainische Gemeinde ihre Gottesdienste in der Kirche im Belgischen Viertel. Nach Kriegsbeginn habe man Busse organisiert, die Frauen und Kinder nach Köln brachten. „Manchmal kamen die Busse nachts an und wir wussten nicht, wo wir die Menschen unterbringen konnten. Dann sind sie erstmal in der Christuskirche untergekommen“, erinnerte sich der Erzpriester. Manche von ihnen lebten nun in Familien, andere hätten Wohnungen gefunden, und manche seien zurückgekehrt, weil sie ihre Angehörigen vermissten. „Jetzt kommt der Winter, es wird kalt, und viele werden wieder nach Deutschland flüchten. Auch, weil ihre Wohnungen nicht mehr existieren.“ Chayka hofft, dass die Unterstützung der Geflüchteten europaweit anhält.

„,Wage-mutig‘ – was für ein wundervolles, altes Wort!“

„Unser Thema: Wagemut! Wagemut in aufregender Zeit. Ich kann dazu nicht den Präses unserer Landeskirche begrüßen, weil er an Corona erkrankt ist und bis vor kurzem in Rumänien in Quarantäne war“, entschuldigte  Seiger in seiner Begrüßungsrede Präses Torsten Latzel. Aber der Stadtsuperintendent kündigte Ersatz an: „Der Präses hat uns die Predigt dennoch vorbereitet und sie uns geschickt. Sie wird verlesen von Lukas Schrumpf aus Solingen. Er ist nebenamtliches Mitglied unserer Kirchenleitung und im Hauptberuf Entwicklungsingenieur. Er arbeitet bei Ford.“ Schrumpf sei ein Beispiel dafür, dass die evangelische Kirche im Rheinland von Theologinnen und Theologen sowie von Nicht-Theologen gleichermaßen geleitet werde. „Das ist unser evangelisches presbyteriales Prinzip, dass die Wege gemeinsam entschieden und verantwortet werden!“

„Liebe Gemeinde, ,Wage-mutig‘ – was für ein wundervolles, altes Wort! Es steht für mutig, couragiert, kühn, verwegen, furchtlos. Nicht ,waghalsig‘. Das ist überzogen, tollkühn, draufgängerisch, und das andere Extrem im Gegensatz zu feige. Leichthin den Hals riskieren – und mit ihm Kopf und Kragen, Leib und Leben, ohne Sinn und Verstand. Aber eben auch nicht ängstlich, keine Sorgen- oder Bedenken-Trägerei“, griff Latzel in seinem Predigt-Text das Motto des Gottesdienstes auf. Wagemutig seien Männer und Frauen wie Martin Luther King und Nelson Mandela gewesen. Und Greta Thumberg und die belarussische Aktivistin Maria Kolesnikowa seien mit ihrem Engagement aktuell wagemutig. „Wenn ich nur ein einziges Wort hätte, um zu beschreiben, was es heißt, evangelisch zu glauben, protestantisch zu sein: ,Wagemutig‘ stände bei mir ganz weit oben.“

„Das meint Glauben: Habe Mut, dich selbst zu wagen“

Und es gebe einen Mut zweiter Ordnung, den Mut, mutig zu sein: „Das meint Glauben: Habe Mut, dich selbst zu wagen, verwegen du selbst zu sein, dein Leben zu riskieren – aus Liebe zu anderen. Im tiefen Vertrauen darauf, dass Gott dich trägt.“ Latzel erinnerte an die Seligpreisungen der Bergpredigt. „Die Seligpreisungen. Das klingt allzu harmlos, nach frommem Trost und Glücklichsein. Das ist Wagemut pur. Eine fundamentale Kritik und Kampfansage. Eine einzige große Antithese zur Welt mit allen ihren Werten. In diesen Sätzen steckt bereits alles drin: Leiden, Wunder, Kreuz, Auferstehung. Die Hoffnung auf eine neue, andere Welt. Wer so redet, kann nicht gut enden – nach den Maßstäben der Welt. Er liegt mit der Welt über Kreuz.“

„Wir leben in einer Zeit, die einem leicht die Hoffnung rauben kann“

Jesus sei kein Idealist gewesen, kein religiöser oder politischer Schwärmer, der von einer anderen Welt geträumt habe. „Er lebte vielmehr ganz aus der einen, unbedingten, allumfassenden Liebe Gottes.“ Jesus habe sich von allem gelöst, was in der Welt als glücklich, erfolgreich und selig gelte. „Und in ihm wird so eine andere Wirklichkeit offenbar: die in Gott versöhnte und erlöste Welt. Deshalb ist Jesus der Christus, weil in ihm selbst diese Wirklichkeit Gottes unbedingt gegenwärtig ist.“ Latzel fuhr fort: „Darum geht es in den Seligpreisungen: um den Wagemut, radikal anders zu leben und zu lieben. Wir leben in einer Zeit, die einem leicht die Hoffnung rauben kann. Ein drohender Klimakollaps – mit nahenden Kipp-Punkten, die wir nicht mehr rückgängig machen können. Eine Pandemie, die Menschen vereinsamt, Spaltungen produziert und die Ärmsten weltweit noch ärmer macht.“ Evangelisch sein heiße, selbst ganz von Gott bestimmt zu sein. „Frei von dem, was in dieser Welt gilt und bestimmt von Gottes Liebe zu seiner ganzen Schöpfung.“

„Der Glaube ist das Prinzip Hoffnung“

Nach dem Orgelnachspiel von Professor Johannes Geffert überbrachte Bürgermeister Andreas Wolter die Grüße der Oberbürgermeisterin Henriette Reker. In seinem Grußwort ging er auch auf das kantische Wort von dem Mut ein, sich des eigenen Verstandes zu bedienen. „Das bedeutet, genau hinzugucken und die Dinge mit Klugheit zu hinterfragen. Nicht Mitläufer zu sein.“ Martin Luther habe diesen Mut gehabt und etwas ganz Großes angestoßen. Es sei ja oft unbequem, die richtigen Fragen zu stellen. „Ich wünsche uns in diesen verunsichernden Zeiten Mut zum Selbstvertrauen“, sagte der Bürgermeister und lobte Unternehmer, Lehrerinnen und Lehrer, Eltern und Kinder, die in Zeiten der Pandemie große Stärke offenbart hätten. „Der Glaube ist das Prinzip Hoffnung und deshalb ein Erfolgsmodell für das Leben.“

Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Stefan Rahmann

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