Schulpolitischer Aschermittwoch: Weisheiten für Lebenskrisen
„Gemeinsam lernen. Impulse für ein gelingendes Miteinander aus der alttestamentlichen Weisheit“ lautete der Titel des Vortrags den Dr. Markus Saur, Professor für Theologie des Alten Testaments an der Universität Bonn, beim Schulpolitischen Aschermittwoch des Evangelischen Kirchenverbands Köln und Region hielt. Organisiert wird das alljährliche Treffen vieler Menschen, die mit schulischer Bildung zu tun haben, vom Schulreferat und dem Pfarramt für Berufskollegs des Verbandes. Und man hatte gut daran getan, online zu tagen, denn im Anschluss an die Karnevalstage schossen die Inzidenz-Zahlen in Köln in die Höhe.
Markus Zimmermann, stellvertretender Stadtsuperintendent und für den Bildungsbereich zuständiger Superintendent, begrüßte den Referenten und die Zugeschalteten. „Krise“ sei ein in den vergangenen Monaten häufig benutzter Begriff in den öffentlichen Debatten gewesen, so Zimmermann. „Sie in den Schulen wissen, was das bedeutet. Nicht vergessen dürfen wir die Belastungen, denen vor allem die Schülerinnen und Schüler ausgesetzt waren und sind. Ich habe die gedämpfte Stimmung in einem Schulgottesdienst vor kurzem in Erinnerung. Aus vielen Schulen haben wir gehört von den Auswirkungen der Pandemie auf die physische Gesundheit und die psychischen Belastungen. Das bestätigt sich auch in unseren Gemeinden und bei der Telefonseelsorge.“
Krisen seien das Grundgefühl der Zeit und seit dem Krieg in der Ukraine noch mehr. Egoismus, Resigantion und Verzweiflung machten sich breit. „Das gesellschaftliches Miteinander wird durch Corona auf viele Proben gestellt. Die jüdische und die christlichen Traditionen sind ein Schatz an Ideen für Lebenskrisen. Wir freuen uns auf den Vortrag von Professor Saur. Er ist ein ausgewiesener Experte für die Weisheits-Tradition.“
Weisheit ist erfahrungsgetragen
Saur ging in seinen Eingangs-Statements ein auf alte sumerische Sprichwörter aus dem dritten Jahrtausend vor Christus ein, die gar nicht so alt klingen. „Wer schwer isst, wird deswegen nicht schlafen können“, sei einer der ältesten überlieferten Sätze. Weisheit sei erfahrungsgetragen und als kurze literarische Form leicht lern- und lehrbar. Nächstes Beispiel: „Das Gute ist das Bier, das Schlechte ist die Expedition.“ Reisen, so Saur, bringe Unsicherheiten mit sich und Gefahren. Genießen im bekannten Umfeld verschaffe ein Gefühl der Sicherheit. Und weiter: „Wer eine Grube gräbt, fällt in sie hinein, und wer einen Stein wälzt, auf den rollt er hinab.“ (Sprüche 26,27). In diesem Satz erfahre man etwas über zum Thema Wirkungsgeschichte. „Dabei handelt sich um um einen Grundmechanismus des Weisheitsdenkens. Die Dinge stehen im Wechselverhältnis. Konsequenzen aus meiner Tat haben Wirkung darauf, wie es mir ergeht. Es gibt einen Zusammenhang über die konkrete Tat hinaus.“
Und weiter: „Wer sein Ackerland bebaut, wird satt an Brot, wer aber Nichtigem nachjagt, entbehrt des Verstandes.“ (Sprüche 12,11). „Die Tür dreht sich in ihrer Angel und der Faule in seinem Bett.“ (Sprüche 26,14) Hier stehe eine starke Fokussierung auf Arbeitsamkeit und Fleiß im Mittelpunkt. Niemand werde ermahnt, aber die Sätze sollten etwas in Gang setzen. Sie sollten bei den Angesprochenen Erkenntnis und Einsicht produzieren. Gruben graben berge Gefahren, Faulheit das Risiko, nicht mehr satt zu werden.
Handeln des Menschen hatte Effekte, die auf ihn selbst zurückwirken
Das Schwarz-Weiß-Prinzip von Gute und Böse griffen weitere Sätze auf. „Wenn der Sturm vorüber ist, ist der Frevler nicht mehr da, der Gerechte aber hat für immer Bestand.“ (Sprüche 10, 25). „Darin“, so der Theologie-Professor, „drücke sich die Hoffnung aus, dass übles Verhalten keinen Bestand haben möge.“ Auch für die Herrschaftsformen haben die Sprüche Weisheiten parat: „Ein knurrender Löwe, ein gieriger Bär, so ist ein ungerechter Herrscher über ein armes Volk.“ (Sprüche 28,15). „Wenn die Frevler an der Macht sind, nimmt das Vergehen zu, die Gerechten aber werden sehen, wie sie stürzen.“ (Sprüche 29,16). „Wo gehören solche Sprüche hin? In die Erziehung des Prinzen und des höheren Beamtenstandes. Hohe moralische Standards werden gesetzt“, sagte Saur und zitierte den renommierten Bibelwissenschaftler Gerhard von Rad, um das Ganze schlüssig zusammen zu fassen: „Kein Mensch würde auch nur einen Tag leben können, ohne empfindlichen Schaden zu nehmen, wenn er sich nicht von einem ausgebreiteten Erfahrungswissen steuern lassen könnte. Dieses Erfahrungswissen lehrt ihn die Abläufe in seiner Umgebung verstehen, es lehrt ihn die Reaktion seiner Mitmenschen vorauszusehen, seine eigenen Kräfte am rechten Punkt anzusetzen, das Regelmäßige vom Einmaligen zu unterscheiden und vieles andere mehr.“ Das Fundament des Denken im Sprüchebuch ist laut Saur: „Das Tun des Menschen und sein Ergehen stehen in einem Zusammenhang. Das Handeln des Menschen hatte Effekte, die auf ihn selbst zurückwirken, die zugleich aber auch sein sozialen Umfeld prägen und damit gesellschaftliche Dimensionen haben.“
Ganz anders sei der Ansatz bei Hiob. In entsprechenden Buch sieht Saur eine „Problematisierung des Tun-Ergehen-Zusammenhangs: Warum geht es dem Gerechten schlecht und dem Ungerechten gut?“ Das Hiobbuch stelle grundlegende Inhalte des Sprüchebuches in Frage: Das Gelernte werden am Beispiel Hiobs problematisiert. „Das Beispiel Hiob zeigte, dass der Gerechte sehr wohl ins Unglück stürzen könne. „Hiob und seine Freunde ringen mit dieser Erfahrung, dass der Frevler prächtig in Saus und Braus leben kann.“ Sie stellten die Fragen: „Was nutzt es, Gott zu bitten, wenn er als Garant dieser Ordnung nicht mehr auftreten will“, erinnerte Saur an die Moral des Sprüchebuches. Für Hiob sei Gott souverän, seine Weiheit verborgen.
„Resilienz bedeutet, sich ohne schlechtes Gewissen des Lebens zu freuen“
Wieder anders verhalte es sich im Koheletbuch, dem Buch des Predigers Salomo. Er stelle Aussagen nebeneinander, die sich widersprächen. „Im Buch finden sich spannungsreiche Aussagen, die sich für Kohelet aus der ,empirischen‘ Untersuchung der Welt ergeben. Er sieht, was unter der Sonne geschieht, und deutet, was er sieht“, sagte Saur und fuhr fort: „Diese Deutungen Kohelets binden Leserinnen und Leser ein, sie sind auf eine konstruktive, mitdenkende Rezeption hin angelegt.“ Als Beispiele nannte er: „Sei nicht übergerecht, und gib dich nicht gar zu weise. Warum willst du scheitern? Sei nicht zu oft ungerecht, und sei kein Tor. Warum willst du sterben vor deiner Zeit?“ Und: „Es gibt Nichtiges, das auf Erden geschieht: Es gibt Gerechte, denen es ergeht, als hätten sie gehandelt wie Frevler, und es gibt Frevler, denen es ergeht, als hätten sie gehandelt wie Gerechte: Ich dachte: Auch dies ist nichtig.“ Bei Kohelet werden Erkenntnis aus Erfahrung gewonnen. Der Mensch sei zu Erkenntnis befähigt, aber zugleich auch begrenzt. Die Zeit sei eine der Grenzen des Menschen, die Freude am Leben eine Gabe Gottes. Die Weisheit werde verstanden als lehrender und lernender Diskurs. „Die alttestamentliche Weisheitsliteratur spiegelt einen Diskurs um die Fragen des gelingenden Lebens, um die Grenzen des Menschen und um die Ordnung der Welt. Das Sprüchebuch, das Hiob-Buch und Kohelet können nicht isoliert gelesen und interpretiert werden, sondern müssen als Stimmen eines breiten gelehrten Diskurses verstanden werden“, fasste Saur am Ende zusammen.
Für das Heute sei festzustellen, dass Gott Lebensfreude billige im Wissen um die begrenzte Zeit, die dem Menschen zur Verfügung stehe. Das sei aber nicht zu verwechseln mit billigem Hedonismus. Die alttestamentlichen Weisheiten seien Dokumente dafür, wie Resilienz entstehen könne. „Es gibt trotz aller Bedrohungen genug Gründe, das Leben zu genießen.“ Viele nichtchristliche Schüler seien ansprechbar für diese Wurzeln aus dem Land zwischen Euphrat und Tigris. Es gelte im interreligiösen Dialog zu zeigen: „Menschheitsgeschichtliches Kulturwissen kommt nicht nur aus Rom und Athen.“
Superintendent Markus Zimmermann hatte das Schlusswort: „Resilienz bedeutet, sich ohne schlechtes Gewissen des Lebens zu freuen. Gottes Gerechtigkeit und Liebe werden sich durchsetzen. Die Gottlosen werden in die Irre gehen.“
Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Stefan Rahmann
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