Stärkung und Segnung: Gottesdienst zum Schuljahresanfang

„Wir freuen uns, dass dieser Gottesdienst zu einer Tradition geworden ist“, stellte Jost Klausmeier-Sass angesichts der mehr als 60 Religionslehrerinnen und -lehrer in der Kartäuserkirche fest. Der Pfarrer hieß im Namen des Schulreferates und des Pfarramtes für Berufskollegs des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region willkommen zum Gottesdienst zum Schuljahresanfang. Und als einer der Bezirksbeauftragten für Berufskollegs äußerte er die Hoffnung, dass „es ein guter Brauch wird, sich zum Beginn des Schuljahres zu versammeln, sich stärken und segnen zu lassen“.

Auch wenn man persönlich, gedanklich mit allen Sinnen in Ferien gewesen sei, habe sich die Welt doch weitergedreht mit all dem Leid und Elend, den Fragen und Krisen, die uns alle beschäftigten. Das Konzept des Gottesdienstes gebe all diesen Fragen und Krisen Raum, schickte Klausmeier-Sass voraus. Gleichzeitig hörten wir Gottes Wort, das uns sagen könne, „wie wir in diesen Zeiten bestehen“. Zentral behandelte der Gottesdienst mit Superintendent Markus Zimmermann die Frage nach der Gebrochenheit menschlichen Lebens. Dabei ließ die Gemeinde sich leiten von den Worten Jesajas (42, 1-7) gegen das Zerbrechen.

„Da wohnt ein Sehnen tief in uns“

In den bewährten Händen von Thomas Frerichs, Kantor der Kartäuserkirche, lag die musikalische Gestaltung mit mitreißenden, inspirierenden Interpretationen etwa der Lieder „Meine engen Grenzen“ und „Da wohnt ein Sehnen tief in uns“. Die Kollekte ist bestimmt für „Südwind – Institut für Ökonomie und Ökumene“ mit Sitz in Siegburg. Das Institut „forscht und handelt für gerechte Wirtschaftsbeziehungen“. Erfreulicherweise konnten die meisten Besucher und Besucherinnen im Anschluss an den Gottesdienst die Einladung zu Begegnung, Gesprächen und Imbiss im Refektorium wahrnehmen.

Vor dem Kyrie-Ruf baten Mitwirkende bereits in und mit drei eindringlichen Beiträgen Gott um Erbarmen. Im ersten erinnerte Claudia von Aswegen vom Pfarramt für Berufskollegs an den Beginn und Fortgang der Pandemie, an die Folgen der Lockdowns. Der erste im März 2020 habe vielen Menschen zwar auch Entschleunigung gebracht. Zahlreiche hätten sich aufgemacht, seien wandern gegangen, hätten auch ein bisschen Freizeit genossen. Zugleich „haben wir unendlich viele Hygienemaßnahmen kennengelernt“. In den Schulen seien Distanzunterricht eingeführt sowie Laufwege eingerichtet worden, „damit wir uns nicht begegnen“.

„Gott du weißt, was wir fühlen und uns belastet“

Auch der 2. Lockdown mit Homeoffice und Unterricht zuhause habe Familien vor sehr viele Herausforderungen gestellt. Diese ganz schwierige Zeit habe uns verändert und geprägt. „Wir haben Schülerinnen und Schüler aus dem Blick verloren. Gerade diejenigen, die in der Schule einen gewissen Halt gefunden haben, weil sie eine Regelmäßigkeit hatten.“ Aus Angst vor Ansteckung hätten wir uns fern gehalten von Menschen, notwendige Gespräche nicht geführt, wies die Pfarrerin auch auf die sehr eingeschränkten Besuchsmöglichkeiten von Menschen in Krankenhäusern in Pflegeheimen hin. „Gott du weißt, was wir fühlen und uns belastet.“

Ihr Kollege Klausmeier-Sass erzählte von einem Paar, das sich auf Kreuzfahrt nach Barbados und anderen karibischen Inseln begeben habe. Nach zwei Jahren Corona habe man sich das einfach gönnen können, zitierte er den männlichen Part. Man sei durch Corona gekommen, „aber trotzdem, dieser innere Stress“, legte ihnen der Pfarrer in den Mund. Die beiden hätten mit vielen anderen Passagieren sogar einen „echten Regenwald“ besucht und Einheimische kennengelernt. Die Kinder des Dorfes bräuchten nicht zur Schule zu gehen, weil sie den ganzen Tag schöne Produkte für den Verkauf an Touristen anfertigten, hielt er seinen ironischen Ton bei. „Gott, erbarme dich über unseren Lebensstil, über unsere Konsumlust. Erbarme dich über unsere Leichtfertigkeit, mit der wir meinen uns gönnen zu dürfen, mit der wir manchmal meinen, uns gönnen zu müssen“, bat Klausmeier-Sass eindringlich. „Erbarme dich über unsere Verstrickung in die Konsummaschinerie. Über unsere Lust an der Erdölverbrennung. Erbarme dich über unseren Hochmut, mit dem wir andere kritisieren und uns selbst aus dem Blick verlieren würden. Erbarme dich darüber, dass wir so oft wissen, was zu tun wäre – und es nicht tun.“

Blick auf Krieg, Zerstörung, Not und Tod

Schulreferent Dr. Rainer Lemaire ging in seinem Kyrie-Beitrag auf die Schatten ein, die sich trotz aller Erholung in den Ferien auf diese Sommerzeit gelegt hätten und weiter legen. Nicht weit von uns herrschten Krieg, Zerstörung, Not und Tod. Wirklich verdrängen ließen sich diese Schatten nicht. Er selbst werde immer wieder von ihnen eingefangen. „Unsere Welt ist keine heile Welt. Das wird zurzeit so deutlich, wie ich es in meinem Leben vielleicht kaum erlebt habe.“ Wir spürten, dass dieser Krieg auch uns bedrohlich nahe sei. Existentielle Ängste riefen ebenfalls eine fortschreitende Inflation und unsichere Energieversorgung hervor. Über unsere Ängste dürften wir aber nicht vergessen die von uns kaum zu erahnende Not, die Verluste, die Toten, die die Menschen in der Ukraine zu beklagen hätten. Ebenso wenig dürfe uns entfallen, dass auch Menschen in Russland unter ihrer Regierung und diesem Krieg leiden müssten.

„Woher kommen Trost und Hoffnung, woher kommt Hilfe?“

Was für uns vielleicht sicher und selbstverständlich gewesen sei, sei dies tatsächlich keineswegs (mehr) – nicht der Frieden, nicht der Wohlstand, nicht unsere Demokratie, nicht meine ganz persönliche Sicherheit, so Lemaire. Was taugten unsere friedensethischen Positionen noch, wenn wir in den Krieg hineingezogen würden oder hineinzögen, fragte er. Was, wenn ein erbitterter Streit um Energie und Rohstoffe ausbreche? „Was, wenn es den Rechten weiter gelingt, die Demokratie bei uns und in Europa zu schwächen“?  All das zeige uns, dass Selbstverständlichkeiten vielleicht auch auf lange Sicht vorbei seien. „Wann wird dieser Schatten wieder weichen, fragen wir, und wird er wieder weichen? Woher kommen Trost und Hoffnung, woher kommt Hilfe?“, bat Lemaire Gott um Erbarmen.

Nach einer wertvollen Auszeit hole uns der Alltag wieder ein, leitete Schulreferent Thomas vom Scheidt seinen Kyrie-Ruf ein. Die schwierigen Zeiten mit Krieg, Klimakrise und Pandemie zeigten, wie zerbrechlich unser gewohntes Leben sei. „Die Welt erscheint uns als heilloses Durcheinander.“ Wir wüssten auch um unsere eigenen Verstrickungen und dass wir unseren Teil beitrügen zu ungerechten Lebensverhältnissen.

„Wir würden gerne anders leben und handeln und schaffen es häufig nicht. Wir werden schuldig an uns und an anderen“, bekannte vom Scheidt. Wir seien nachdenklich, verunsichert, verletzlich. Mehr denn je spürten wir unsere Bedürftigkeit und wie sehr wir Beistand und Halt bräuchten. „Wir sehnen uns nach Vergebung und Veränderung, nach Heilung für unsere Schulen, für unsere Welt und auch für uns.“ Stellvertretend brachte vom Scheidt Gott unser Leben vor, unser Leben mit unseren Ängsten und Sorgen, mit unserer Schuld und Sehnsucht mit unseren Versäumnissen und Hoffnungen.

In seiner Predigt ging der stellvertretende Stadtsuperintendent Markus Zimmermann auf die Lesung Jesaja 42, 1-7 („Ein geknicktes Schilfrohr zerbricht er nicht“) ein. Er sprach zunächst von großen Unsicherheiten hinsichtlich des Ablaufs des Schuljahres. Kehrten die Corona-Beschränkungen zurück, werde es tatsächlich ein kalter Winter, wie entwickle sich überhaupt die Situation in der Welt? Es sei anders als sonst zu Schulbeginn, stellte Zimmermann fest. Deshalb sei den Einladenden vom Schulreferat und dem Pfarramt für Berufskollegs so wichtig, dieses andere näher zu beleuchten. Und zwar am Jesaja-Wort, diesem wunderbaren Text der Zusage.

Neue Hoffnung schöpfen

Das Volk Israel sei ein völlig geknicktes und geknechtetes im Exil gewesen. Die guten Zeiten seit Generationen vorbei. „Perspektivlosigkeit war an der Tagesordnung.“ In diese Situation hinein habe der Prophet gesprochen. Und die, die damals zugehört hätten, hätten sofort gewusst, dass sie gemeint gewesen seien: „Gott wird sie nicht zerbrechen und auch nicht auslöschen lassen.“ Stattdessen habe Gott durch den keineswegs heldenhaften Gottesknecht als selbst Verletzung erfahrener Befreier dem Volk Israel Mut zusprechen lassen, auf das es neue Hoffnung schöpfe.

Am Anfang eines Schuljahres mit vielen Unbekannten und Unsicherheiten spürten wir, dass Corona wie ein Tinnitus ständig in uns sei, sagte Zimmermann, „wie ein unangenehmes Geräusch“. Und wir als Vertreterinnen und Vertreter einer Kirche mit kräftigen Imageproblemen stünden als eine geknickte Gemeinde dar – „aber wir stehen als eine Gemeinde dar“, betonte Zimmermann. Die Menschen damals hätten genau gehört und gespürt, dass Gott da sei in ihrer Perspektivlosigkeit, Gebrochenheit, zumindest Unsicherheit. „Und so ist Gott auch bei uns. Heute und in diesem Schuljahr.“

Vielleicht gebe es noch keine neuen pädagogischen Erkenntnisse oder ministerielle Erlasse zum neuen Schuljahr. Aber es gebe etwas für uns als Gemeinde zu sagen, was Bildung „as its best“ sei, so der Superintendent. Nämlich den Schülerinnen, Schülern und uns selbst beizubringen, dass jetzt endgültig Schluss sei mit dem immer mehr, besser, weiter, billiger. Auch wenn sich das niemand von uns gewünscht habe.

Wir müssten zu der Bildungserkenntnis kommen, dass wir als Menschen gebrochen und nicht perfekt seien. Dies spiegle sich nicht nur in einer schlechten Note wider. „Das betrifft uns alle.“ Und das führe uns auch dazu, dass wir näher dran seien an dem, was wesentlich an der Botschaft des Menschensohnes sei: „Gott ist mitten unter uns, bei denen, die sich schlecht fühlen, die Hilfe brauchen und in Not sind.“ Diese Botschaft bezeichnete Zimmermann als wichtiger denn je. „Wir sind eine Gemeinde der noch nicht ganz Erlösten.“ Aber wir seien eine besondere Gemeinde, weil wir vertrauen könnten, dass Gott uns gerade in unsere Fehlbarkeit zur Seite stehe.

Unterstützung, Stabilität, Hilfe, Rücksichtnahme und Vertrauen

Zimmermann sprach von einer ungewöhnlichen Botschaft. Sie halte die wunderbare Erkenntnis bereit, dass niemand perfekt sein müsse. Was wir jetzt benötigten, sei gegenseitige Unterstützung, Stabilität, Hilfe, Rücksichtnahme und Vertrauen. Der Gottesknecht habe auf diese Weise die Menschen verändert. Ihnen verdeutlicht, dass Gott keine Maschine im Himmel sei. Denn „Gott ist mitten in euren und unseren Herzen. Und da bewirkt er ganz viel“. Die Gemeinde der Religionslehrerinnen und Schulpfarrer sei keine exklusive, so Zimmermann. Gott sei mitten im Herzen auch der anderen, im Herzen der Kolleginnen und Schüler.

Bei aller Gewissenhaftigkeit bei unseren Aufgaben in der Schule, bei allem Ernstnehmen unseres Auftrags gelte es anzuerkennen, dass wir nicht perfekt sein müssten und es auch von niemandem verlangen sollten. „Wir Unperfekten sind eine Gemeinde“, die sich stärken ließe durch Jesu Botschaft. Zimmermann riet, dass sich diese Gemeinde als eine nicht perfekte wahrnehme. Deshalb könne sie mit viel Humor den eigenen kleinen Fehlern begegnen und hoffentlich auch gnädig zu anderen sein. Eine Gemeinde voller Zuversicht, die den Dingen trotze, die hochsensibel sei für die Not anderer und in der Lage, sich auch im neuen Schuljahr wenn auch nur um wenige, aber dafür intensiv kümmern zu können.

Dietrich Bonhoeffer habe einmal gesagt, es sei wichtig, dass wir uns um Menschen kümmerten: „Es wird viel bewirken.“ Schließlich wies Zimmermann auf einen pädagogischen Auftrag Jesajas hin. Der Prophet gebe zu Beginn seines Buches seiner Gemeinde und uns allen den Auftrag, das zu tun, was wesentlich sei: „Tröstet, tröstet mein Volk und tröstet die Menschen.“ Nicht nur in der Schule, sondern darüber hinaus, betonte Zimmermann. Er ermutigte die Lehrer und Lehrerinnen, dieses Schuljahr als Getröstete und Gestärkte zu beginnen. Und er vermittelte ihnen die Zuversicht, dass sie auch andere trösten und sich gegenseitig trösten könnten.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich

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