Theologische Seminare: „Mehr Aggression unter Verschwörungsgläubigen“
Gleich in zweierlei Hinsicht hat die Pandemie Einfluss auf die Vortrags- und Diskussionsreihe der Theologischen Seminare der Andreaskirchengemeinde in Bergisch Gladbach-Schildgen genommen. Es ging um „Verschwörungstheorien in Corona-Zeiten“. Und: Wie im Vorjahr hatten die Organisatorinnen und Organisatoren sich aufgrund steigender Inzidenzzahlen in diesem Frühjahr erneut gegen Präsenzveranstaltungen und für Zoom-Konferenzen entschieden. Diesmal, im 26. Jahr der Theologischen Seminare, lautete das Motto: „Woran Du Dein Herz hängst – Religiöse Überzeugungen und der heiße Kern des Christentums“. Organisiert werden die Theologischen Seminare als Kooperationsveranstaltung der evangelischen Gemeinde Altenberg/Schildgen, der katholischen Kirchengemeinde Herz Jesu Schildgen, des Katholischen Bildungswerkes Rheinisch-Bergischer Kreis sowie der Kölner Melanchthon-Akademie.
Nun fand der zweite Abend der dreiteiligen Reihe statt – unter dem Titel „Nichts ist wie es scheint! – Verschwörungstheorien in Corona-Zeiten“. Andrew Schäfer, Landespfarrer für Weltanschauungsfragen der Evangelischen Kirche im Rheinland, referierte über Verschwörungstheoretiker und Verschwörungstheoretikerinnen, die Wurzeln solcher Überzeugungen und darüber, wie man diesen Menschen begegnen kann.
Ernüchternde Erkenntnis des Düsseldorfer Theologen nach einem gut einstündigen intensiven Vortrag: „Wenn jemand erst einmal in diesen Verschwörungsmythen steckt, ist er für von seinem Weltbild abweichende Impulse nicht mehr zugänglich.“ Argumentativ werde ein solcher Mensch nicht mehr erreicht, der Umgang mit den Theorien und Weltanschauungen der Betroffenen könne zermürben und Beziehungen zerstören, berichtete Andrew Schäfer aus seiner Praxis als Berater und Gesprächspartner von Angehörigen und Betroffenen. „Es stimmt mich unsagbar traurig, wenn Menschen nicht mehr miteinander reden, Familien zerbrechen. Dann ist es wichtig, die Angehörigen intensiv zu begleiten.“
Absoluter Wahrheitsanspruch und ein klares Feindbild
Kennzeichen von Verschwörungstheoretikern und Verschwörungstheoretikerinnen sind ein absoluter Wahrheitsanspruch im Hinblick auf ihre Sicht der Dinge, gepaart mit einem klaren Feindbild. Misstrauen und Zweifel bestimmen den Alltag, jegliche Kritik wird abgeblockt. Wer mit einem solchen Menschen zu diskutieren versuche, erreiche im Grunde immer nur eine Eskalation. Dennoch sei Zivilcourage gefordert: „Leugnern des Holocaust zum Beispiel, müssen wir etwas entgegensetzen“, mahnte Andrew Schäfer und gab Tipps, wie ein Gespräch verlaufen könnte. Er machte aber auch klar, dass manchmal nur eine Kontaktpause einen endgültigen Bruch verhindert.
„Verschwörungstheorien sind so alt wie unsere Gesellschaft.“
Zuvor hatte er den 16 Teilnehmenden des Seminars Einblicke in die Szene der Verschwörungstheorien gegeben und ein Blick auf die Geschichte geworfen. Denn: „Schon im Mittelalter gab es nicht wenige, die an die Ritualmordlegende glaubten. Diese besagte, dass Juden das Blut von Säuglingen trinken, um ewiges Leben zu erlangen. Die heutige These der hauptsächlich in den USA angesiedelten QAnon-Bewegung, eine Elite würde das aus dem Blut von Kindern gewonnene ,Adrenochrome‘ konsumieren, fußt auf diesem jahrhundertealten Irrglauben“, erläuterte der Pfarrer und ergänzte: „Verschwörungstheorien sind so alt wie unsere Gesellschaft.“
Mit Besorgnis, so der Theologe, beobachte nicht nur er, dass das Aggressionspotenzial innerhalb der Gruppen von Verschwörungsgläubigen zunehme. Der Sturm auf die Reichstagstreppe in Berlin und das Capitol in Washington hätten deutlich gezeigt, dass die Hemmschwelle, Gewalt anzuwenden, stetig gesunken sei. „Politiker wie Volker Beck oder Karl Lauterbach wurden schon verbal bedroht oder sogar tätlich angegriffen.“
Dass Menschen, die sich politisch eher rechts positionieren, offenbar auch häufiger Teil der Verschwörungsszene sind, dokumentierte Andrew Schäfer mit Filmausschnitten, die Tamara Kirschbaum zeigten. Die Heilpraktikerin aus der Eifel mit großer Nähe zu den Reichsbürgern sprach unmittelbar vor dem Angriff auf den Reichstag davon, dass Donald Trump die Herrschaft in Deutschland übernehmen werde. Schäfers These dazu lautet: „Das Verschwörungsmilieu ist immer noch heterogen, driftet aber deutlich nach rechts ab.“
Im christlichen Bereich gebe es eine Affinität zur Freikirche, so der Düsseldorfer. „Freikirchen erleben sich als Minderheitskirchen, manche halten ein sehr konservatives Ehe- und Familienbild hoch, das gut zu einer neuen rechten Bewegung passt, die auch Verschwörungstheorien verbreitet.“ Am Beispiel des Senders Kla.tv des Schweizers Ivo Sasek, der offen krude Weltanschauungen verbreitet, zeigte Schäfer, wie gut die Szene sich auch digital vernetzt hat. Hier hakte Pfarrer Jürgen Manderla, Moderator des Abends nach, und fragte nach dem Einfluss des Internets auf Verschwörungstheorien. „Das Internet hat das Wissen demokratisiert. Es gibt keine Lösung, die Verbreitung von Verschwörungsmythen aufzuhalten“, bedauerte Andrew Schäfer. Pfarrer Thomas Biju, Mitorganisator der Seminarreihe, gab zu bedenken, dass Verschwörungstheoretiker und Verschwörungstheoretikerinnen oft sehr intelligente Menschen seien. Hier stimmte der Landespfarrer zu: „Menschen, die sich auf diese Weise verändern, haben oft einen schmerzlichen Umbruch in ihrem Leben erlitten.“
Der nächste Abend findet am Donnerstag, 17. März, statt. Das Zoom-Seminar beginnt um 20 Uhr und steht unter dem Titel „Betet ohne Unterlass! – Einblicke in die Tradition gelebter christlicher Spiritualität“. Referent ist Dr. Dr. Michael Plattig O.Carm. aus Münster. Weitere Informationen gibt es auf der Website der Gemeinde:
www.andreaskirche-schildgen.de
Text: Katja Pohl
Foto(s): Matthias Pohl
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