„Zeitgleich“-Audio-Gottesdienst aus der Reformationskirche in Köln-Bayenthal an Gründonnerstag 2020
„Im Mittelpunkt des abendlichen Gottesdienstes stehen das Bedenken des Weges Jesu und der Jünger in der Karwoche – und der Weg in dieser außergewöhnlichen Karwoche“, sagt Stadtsuperintendent Bernhard Seiger im „Zeitgleich“-Audio-Gottesdienst aus der Reformationskirche in Köln-Bayenthal. Auf Grund der staatlichen Maßnahmen, die die Ausbreitung des Corona-Virus eindämmen sollen, mussten bundesweit alle Veranstaltungen und Gottesdienste – auch in der Karwoche und an Ostern – abgesagt werden. Mit den Zeitgleich-Gottesdiensten der Evangelischen Kirchengemeinde in Köln-Bayenthal können Menschen auch in ihren Häusern zu den gewohnten Zeiten Gottesdienst mitfeiern. Die Gottesdienste können als Audio-Podcast auf der Gemeinde-Homepage oder unter der Telefonnummer 0221 / 999 81 282 angehört werden. „Es geht um Trost und Halt in Zeiten, die anders sind. Es ist eine neue und fremde Erfahrung, ein Fest der Gemeinschaft ohne sichtbare Gemeinschaft zu feiern”, sagt Pfarrer Bernhard Seiger in seinem Gottesdienst an Gründonnerstag. „Wir können zu Hause zu derselben Zeit feiern. Dieser Gottesdienst ist wie ein Atemholen vor Karfreitag. So wie für Jesus die Tischgemeinschaft mit den Freunden am Abend Trost vor seinem schweren folgenden Weg war.”
Die Predigt aus dem „Zeitgleich”-Gottesdienst von Pfarrer Bernhard Seiger, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Köln-Süd, können Sie hier als Podcast hören:
Den gesamten „Zeitgleich“-Audio-Gottesdienst von Gründonnerstag finden Sie auf der Internetseite: www.kirche-bayenthal.de
„Atemholen vor Karfreitag” – Predigt zu Gründonnerstag
Liebe Gemeinde,
in der Karwoche verdichtet sich alles. Freude und Leid, Gemeinschaft und Einsamkeit. Dunkelheit und Licht.
Es geschieht nacheinander und auch gleichzeitig.
Die Jünger Jesu erleben ganz viel in dichter Zeit. Sie wissen, das Leben ihres Freundes und Meisters ist in Gefahr. Sie ahnen, dass sie ihn verlieren. Und zugleich sitzen sie mit ihm am Tisch und essen und trinken. Brot und Wein. Es ist nach außen wie immer. Und nach innen doch ganz anders. Wenn man weiß: Das ist das letzte Mal, dass wir zusammen sind – dann kann man das Essen nicht genießen, das Schlucken fällt schwer, das Herz wird eng. Wenig später wird Jesus verhaftet und eingesperrt. Ihm wird der Prozess gemacht und sie fürchten das Schlimmste.
Sie sind in diesen Tagen orientierungslos. Das, was so vertraut und sicher schien, ist zerbröselt. Es ist keine Verlässlichkeit mehr. Ihr Meister und ihr Halt wird ihnen genommen. Er verabschiedet sich.
Abschied von vertrauten Lebensformen
In mancher Hinsicht geht es den Jüngern so wie uns in den letzten Wochen. Die Krise verändert fast alles, was uns vertraut schien. Wir müssen uns umorientieren, unseren Alltag ganz neu organisieren. Distanz statt Nähe ist angesagt. Aus Liebe Distanz halten. Es ist vernünftig, aber ganz gegen unsere Natur – eine verrückte Ansage. Das Leben mit Freunden und in der Arbeit verändert sich, das öffentliche Leben steht still. Wir können uns nicht mehr versammeln. Abschied von vertrauten Lebensformen.
Im Gesundheitswesen, in Krankenhäusern und Pflegeheimen kämpfen in unserem Land und weltweit Ärztinnen und Ärzte, Pflegerinnen und Pfleger um das Leben von erkrankten Menschen, oft am Rande ihrer Kräfte. Die Krise wirbelt uns ganz gut durcheinander.
Und für viele auch wirtschaftlich jetzt schon deutlich spürbar. Und andere wirbelt es gesundheitlich durcheinander, sie wissen nicht, bin ich erkrankt? Werde ich, wird meine Familie gut durchkommen? Gehöre ich zur Risikogruppe und muss besonders geschützt werden? Will ich das? Wer kommt noch zu mir und kann mich besuchen? —
Alles ist anders und unsere Seele kommt nicht hinterher.
Gründonnerstag
Die Seele der Jünger, sie war an Gründonnerstag auch durcheinander. Jesus hatte zum Abschiedsmahl geladen. Wie sollen wir das finden? Es soll doch so weiter gehen, wie wir es gewohnt sind.
Und dann sagt er, wie es Matthäus erzählt: „Meine Zeit ist nahe, ich will mit euch das Passamahl halten. (Matthäus 26, 18)
Als sie aber aßen, nahm Jesus das Brot, dankte und brach’s und gab’s den Jüngern und sprach: Nehmet, esset; das ist mein Leib. Und er nahm den Kelch und dankte, gab ihnen den und sprach: Trinket alle daraus; das ist mein Blut des Bundes, das vergossen wird für viele zur Vergebung der Sünden. Ich sage euch: Ich werde von nun an nicht mehr von diesem Gewächs des Weinstocks trinken bis an den Tag, an dem ich von neuem davon trinken werde mit euch in meines Vaters Reich. Und als sie den Lobgesang gesungen hatten, gingen sie hinaus an den Ölberg.” (Matthäus 26,26-30)
Und dann folgt die Geschichte in Gethsemane, in der Jesus mit der Einsamkeit ringt. Ob die Jünger verstanden haben, was Jesus da mit ihnen gemacht hat? Er nimmt Abschied, und sie verstehen bestensfalls die Hälfte. „Ich werde keinen Wein mehr trinken und kein Brot mehr essen.“ Das nächste, was er bekommt, ist Essig – oben am Kreuz. Das können sie nicht zulassen, weil es sonst zu schmerzhaft wird. – Heute nennen wir das Verdrängung.
Aber sie kommen nicht darum herum, durch das lange Tal zu gehen. Schmerz zu spüren.
Der Umgang mit Schmerz
Wir können Schmerzhaftes wegschieben, – es wird seinen Weg in unsere Seele finden. Die Erfahrung haben die Jünger auch gemacht. Sie haben die letzten Tage Jesu immer wieder erzählt. So oft, dass sie ausführlich viermal in der Bibel stehen. In den vier Evangelien, oder noch öfter, wenn wir die Schilderung von Paulus mitzählen.
Wir erzählen diese Abschiedsgeschichte Jesu in den Kirchen seit Generationen bis heute, und viele haben große Passionsmusik dazu vor Augen. So bleibt die Tatsache, dass es Abschiede gibt, in unserer Seele präsent. Aber eben nicht nur der Abschied, sondern auch die Erinnerung an den Reichtum des Lebens.
Die Christen haben nach Ostern angefangen, diese Geschichte immer wieder zu erzählen und dasselbe zu tun, was Jesus getan hat: Brot nehmen, danken und teilen – bewusst essen. Das Gedenken an Jesus hochhalten. Den Kelch mit Wein nehmen, trinken und merken, dass er in diesem Tun mitten unter ihnen ist.
Man kann sich das gut vorstellen, dass einer, der abwesend ist, bei uns ist, wenn wir dieselben Dinge tun, wie er es getan hat. Mit denselben Gegenständen umgehen. Dann ist ein vertrauter Mensch ganz nahe. Die Jünger waren verstört – aber sie haben getan, was sie kannten, das hat ihnen Halt gegeben.
Was Halt gibt und verbindet
Das erleben viele von uns in diesen Tagen auch. In den Dingen, die anders sind: Das suchen, was vertraut ist. Menschen anrufen. Rituale pflegen. Sich nach Tagen und Wochen der Hektik und der Sorge Zeit nehmen für das, was der Seele gut tut. Das gibt Halt. Und das verbindet.
Und dann haben die Jünger und die Christen an tausend Orten eben auch Brot und Wein genommen – und haben Abendmahl gefeiert. Und sie waren Gott ganz nahe dabei. Nähe durch die Brücke der Gedanken und Geschichten. So wie Nähe da ist durch das Denken aneinander unter denen, die durch die Karwoche gehen und die Stufen mit vollziehen. Da ist Dichte und Nähe. Eine Dichte und Nähe, die uns mit vertrauten Geschwistern aus unserer Gemeinde verbindet, deren Gesichter und Stimmen wir vor uns haben. Und auch mit denen aus anderen Gemeinden, mit den katholischen Geschwistern hier in Köln, auch in Italien und Spanien und den USA und Südafrika, die wir nicht kennen, die aber, wie wir daran glauben, dass Gott in Christus mit uns durch dick und dünn geht. Auch wenn wir ihn nicht sehen.
Nahrung für Leib und Seele
Wir können jetzt kein Abendmahl feiern, wie es immer war. In der vertrauten Gemeinschaft im großen Kreis um den Altar, in der jeder Gast willkommen ist. Viele von uns vermissen das, weil es zu ihrem Leben gehört. Weil das Nahrung für den Leib und die Seele ist. Wegzehrung. Trost. Vergebung. Nähe. Versöhnung. Feier des Lebens.
Viele spüren die Sehnsucht danach, das wieder tun zu können. Und diese Sehnsucht bringt uns weiter. Die Sehnsucht nach Gemeinschaft am Tisch des Herrn – über alle Konfessionsgrenzen und Krisenzeiten hinweg. Diese Sehnsucht können wir hochhalten. In Treue.
Und wie wird es dann wieder schmecken, wenn wir wieder feiern können! Und dann können wir erleben wie die Jünger: Es gibt neue Anfänge.
Und es geht weiter! Unser Blick weitet sich. Wir denken große Bögen.
Es wird anders, aber es ist ein Weg, den wir gehen können, Wir können auch die unbekannten Wege gehen, weil sie, wie alle unsere Wege nicht ins Nichts führen – weil uns Gott auf ihnen entgegen kommt. Er kommt uns entgegen, auch wenn wir nicht um die nächste Ecke sehen können und sehen können, dass er schon ganz nahe ist. Amen.
„Zeitgleich”-Gottesdienste der Evangelischen Kirchengemeinde Köln-Bayenthal
Text: Bernhard Seiger
Foto(s): Annika Bocks
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